Kautschuk aus Löwenzahn
Wirklich neu ist die Idee nicht. Genau genommen ist sie schon fast 100 Jahre alt und stammt aus einer Zeit, als es noch keinen synthetischen Kautschuk gab. Stalin hat damals die russischen Botaniker damit beauftragt, eine Pflanze zu finden, die auch Kautschuk produziert. Im heutigen Kasachstan, im Tian-Shan-Gebirge, fanden die Forscher schließlich den Russischen Löwenzahn. Die Pflanze sieht dem hier heimischen Löwenzahn recht ähnlich, produziert aber viel größere Mengen Kautschuk in ihren Wurzeln.
Bislang spricht einiges für den Anbau von Russischem Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz) auch in unseren Breiten. „Im Gegensatz zum Gummibaum kommt Russischer Löwenzahn hervorragend mit den Bedingungen unseres gemäßigten Klimas zurecht, enthält nennenswerte Mengen Kautschuk in seinem Milchsaft, benötigt keine zusätzliche Düngung und ist nach der Aussaat innerhalb eines Jahres erntefähig“, sagt Katja Thiele vom Julius-Kühn-Institut.
Das ökonomische Potenzial des Russischen Löwenzahns erforscht das JKI in einer Kooperation mit der Continental Reifen Deutschland GmbH und dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie. Im Taraxagum-Lab in Anklam haben sie bereits Reifen aus Löwenzahnkautschuk entwickelt. Sie sind 2021 auch für den Deutschen Zukunftspreis nominiert worden.
2012 hielten die Forscher bereits die ersten Gramm des braunen Löwenzahnkautschuks in den Händen, 2014 wurden in Aachen die ersten Prototypen eines PKW- Reifens hergestellt, 2016 der erste LKW Reifen mit Laufflächen aus Löwenzahnkautschuk. Die neuen Reifen haben umfangreiche Fahr- und Prüfstandversuche bestanden. Der Löwenzahnkautschuk hat die gleiche Qualität und kann den bisherigen Naturkautschuk von den Kautschukbäumen in den Tropen eins zu eins ersetzen. Das hat dazu geführt, die Produktion mit Hochdruck umzustellen. 2018 stellte das Unternehmen erstmalig Reifen mit Kautschuk aus regionalem Anbau vor.
Wegen ihrer hohen mechanischen Belastung sind Autoreifen heute Hochleistungsreifen. Sie müssen elastisch, zugfest und Kälteflexibel sein. Anforderungen, die bisher nur Naturkautschuk erfüllt hat. Um seine 150 Millionen Reifen pro Jahr herstellen zu können, braucht der viertgrößte Reifenhersteller der Welt, die Continental AG in Hannover, jedes Jahr viele Millionen Tonnen Naturkautschuk. Und für eine Tonne Naturkautschuk braucht es einen Hektar Anbaufläche.
Zurzeit wird Kautschuk ausschließlich aus dem Saft des Gummibaums gewonnen. Der Saft, der auch Latex genannt wird, enthält 25 bis 30 Prozent Kautschuk. 10 Jahre nach der Pflanzung lässt sich der Baum zum ersten Mal beernten. Gummibäume wachsen nur in den Tropen oder Subtropen, in denen wertvolle Regenwälder in Monokulturen verwandelt werden, weil der Westen dort billige pflanzliche Rohstoffe wie Palmöl, Soja oder Kautschuk produzieren lässt. Damit wird nicht nur ein schmerzhafter Rückgang der Biodiversität in Kauf genommen, denn 50 Prozent aller bekannten Arten sind in diesen Urwäldern zu Hause. Auch der aktuelle Klimawandel wird durch die Rodung der Urwälder befeuert und somit sprechen zahlreiche Dinge für eine langfristige Ergänzung der Kautschukproduktion mit Hilfe des Unkrauts Löwenzahn. Die Ausbeute pro Hektar könne zukünftig durchaus mit den Kautschukbaum-Plantagen in den Tropen und Subtropen mithalten.