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Neues Puzzleteil in der Architektur des Lebens
20.03.2020

Wie aus Biochemie räumliche Strukturen entstehen
Ein relativ einfacher Prozess, an dem sich die Frage der Reproduktion und räumlichen Organisation von Lebewesen untersuchen lässt, ist das Wachstum von Mikroorganismen. Viele Bakterien bilden zum Beispiel eine charakteristische Stäbchenform aus, so auch das in der Studie untersuchte Bakterium Corynebacterium glutamicum. Um die der Vererbung und dem Wachstum zugrundliegenden Prozesse besser zu verstehen, untersuchten die CAU-Forschenden wie die Chromosomen mit dem bakteriellen Erbgut in den Zellen kompaktiert und während des Zellzyklus des Bakteriums auf die Tochterzellen verteilt werden. Sie verfolgten also Zellen von ihrer Geburt bis hin zur Zellteilung. Bakterien vermehren sich auf dem Weg der Zellteilung und müssen bei diesem Prozess ihre Erbinformationen vervielfältigen. Die damit verbundenen Abläufe sind bei C. glutamicum und verwandten Arten insgesamt wenig untersucht. Zur Verteilung der kopierten Erbinformationen nutzt das Bakterium das sogenannte ParB-Protein (von „partitioning“, Deutsch: Aufteilung). Dieses Protein bindet die Chromosomen an einer bestimmten DNA-Sequenz und koppelt diese an die Zellpole, also an beide Enden der stäbchenförmigen Bakterien. Dabei ist jeweils ein Chromosom an einem Zellpol verknüpft. Anders als lange für Bakterien angenommen, besitzen Corynebakterien also genau wie zum Beispiel die meisten Wirbeltiere einschließlich des Menschen jeweils zwei Kopien jedes Gens. Die duplizierten Chromosomen werden dann mit Hilfe von ParB und einem Partnerprotein ParA über die bereits existierenden Chromosomen bewegt. „Das bakterielle Chromosom ist daher auch als strukturgebendes Element für die Organisation der Zelle wichtig und nicht nur als Speicher genetischer Information“, erklärt Bramkamp. „Wir konnten zeigen, dass bei diesem Bakterium die Verdopplung der Chromosomen gewissermaßen an den Zellpolen startet und die neue DNA von dort zur Zellmitte transportiert wird und damit besonders effizient aufgeteilt wird“, so Bramkamp weiter. Das Chromsom ist ein DNA-Strang, der die Größe einer Bakterienzelle um ein Vielfaches übersteigt. Um die Erbinformation also in der Zelle unterzubringen, müssen sie verpackt und komprimiert werden. Daran sind sogenannte Condensin-Komplexe beteiligt. Das sind bestimmte Enzymkomplexe, die an der Organisation der Chromosomen mitwirken und durch das ParB-Protein auf die DNA aufgeladen werden. Das Kieler Forschungsteam fand heraus, dass bei C. glutamicum zwei unterschiedliche Condensin-Komplexe vorkommen, sie jedoch nicht beide an der Verpackung der Erbinformationen beteiligt sind. Stattdessen reguliert ein neuartiges Condensin-System die Vermehrung sogenannter Plasmide in den Bakterienzellen. Plasmide sind genetische Elemente, die als ringförmige DNA außerhalb der Chromosomen in der Bakterienzelle vorkommen. Plasmide sind wichtig, da sie zum Beispiel am sogenannten horizontalen Gentransfer, etwa dem Austausch von Erbinformationen über mikrobielle Artgrenzen hinweg, beteiligt sind. Dabei werden zum Beispiel oft Gene für Antibiotikaresistenzen oder sogenannte Virulenzfaktoren verbreitet, also Eigenschaften, die die krankmachende Wirkung eines Bakteriums bestimmen.Lebensprozesse in hoher Auflösung sichtbar machen
Bramkamp, der im vergangenen Jahr von der Ludwig-Maximilians-Universität in München an das Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU wechselte, legt bei der Erforschung der Mechanismen der bakteriellen Reproduktion besonderen Wert auf die Entwicklung und den Einsatz innovativer Bildgebungsverfahren. Bei der Untersuchung der jetzt neu entdeckten Mechanismen setzte das Forschungsteam sogenannte Einzelmolekül-Lokalisations-Mikroskopie ein, also die mikroskopische Sichtbarmachung einzelner Moleküle mit einer Präzision von 20 Nanometern. „Auf diese Weise konnten wir bei der Organisation des bakteriellen Chromosoms bislang nicht bekannte Nanostrukturen sichtbar machen“, betont Doktorand Giacomo Giacomelli. „Die dabei ablaufenden Prozesse am lebenden Objekt sehen und untersuchen zu können, eröffnet völlig neue Perspektiven für das Verständnis der beteiligten molekularen Mechanismen”, so Giacomelli weiter.Insgesamt sind die am Beispiel von C. glutamicum gewonnenen Erkenntnisse von hohem wissenschaftlichem Wert, da mit diesem bislang wenig erforschten Bakterium möglichweiser ein neuartiger Modellorganismus zur Untersuchung bakterieller Lebensprozesse zur Verfügung steht. Dies bietet in wirtschaftlicher und medizinischer Hinsicht vielversprechende Potenziale. So spielt C. glutamicum zum Beispiel in der biotechnologischen Produktion eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Aminosäuren. Außerdem ist es eng mit bestimmten Krankheitserregern verwandt, zum Beispiel dem Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis. In beiden Feldern ist daher ein immer genaueres Verständnis der Lebensprozesse und speziell der Reproduktion des Bakteriums von großer Bedeutung. Quelle: CAU, News, 20.03.2020