Leopoldina: Kritisches Gutachten zur Bioenergie — eine Betrachtung von biotechnologie.de
27.07.2012
Der Anbau von Energiepflanzen für die Produktion von Biokraftstoffen und Biogas hat in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe schätzt, dass allein 2011 Energiepflanzen auf einer Fläche von etwa 2,28 Millionen Hektar angebaut wurden (2010: 2,15 Millionen Hektar; +6 Prozent). In den Ausbauplänen der Bundesregierung spielt die Bioenergie wegen ihres breiten Einsatzspektrums eine wichtige Rolle. Im Jahr 2050, so ein Energieszenario der Bundesregierung, könnten bis zu 23 Prozent des Primärenergiebedarfs aus Biomasse gedeckt werden (mehr…). Gegenüber anderen alternativen Energieformen kann sie vor allem einen Trumpf ausspielen: ihre Speicherfähigkeit. Elektrizität lässt sich nur umständlich speichern. Die mit Windkrafträdern oder durch Photovoltaik produzierte Energie muss daher vornehmlich im Moment ihrer Erzeugung verbraucht werden. Bei Bioenergieanlagen lässt sich dieses Problem umgehen. Dort können Holzreste oder Stroh so lange gelagert werden, bis sie wirklich für die Energieerzeugung gebraucht werden. Neue Berechnung: weniger Biomasse vorhanden als gedacht Einer wirklich nachhaltigen Nutzung der Bioenergie sind aber trotzdem enge Grenzen gesetzt, schreiben die etwa 20 Leopoldina-Wissenschaftler nun in ihrer Stellungnahme. „Das Ziel von 23 Prozent der Primärenergie, die laut den Szenarien der Bundesregierung im Jahr 2050 Pflanzen liefern sollen, ist nicht nachhaltig zu erreichen“, warnt einer der Koordinatoren der Studie, Rudolf Thauer, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in der Süddeutschen Zeitung. In dem Gremium arbeiteten Mikrobiologen, Biophysiker und Ökologen mit Chemikern und Verfahrenstechnikern zusammen. Theoretisches Fundament ihrer Analyse sind sogenannte Lebenszyklusanalysen, in denen versucht wird, alle Einflussfaktoren – vom Anpflanzen auf dem Acker bis zur Verstromung in der Bioenergieanlage – zu berücksichtigen. Egal ob der Eintrag von Nitrat und Phosphat in Boden und Gewässer, die Entwicklung der Artenvielfalt, die unterschiedliche Schädlichkeit der verschiedenen Klimagase: Alle bekannten Einflussfaktoren werden berücksichtigt, um zu einer fundierten Aussage zu kommen. Das Ergebnis: Nach den neuen Berechnungen steht nicht so viel Biomasse zur Verfügung, wie bisher angenommen. Beispielsweise kann nicht einfach das gesamte Stroh von einem Acker für die Bioenergieerzeugung genutzt werden. Ein Teil muss untergepflügt werden, um wichtige Mineralstoffe zurückzuführen, so dass die Bodenqualität für die nächste Anbauperiode erhalten bleibt. Außerdem schmälert die in Deutschland übliche intensive Landwirtschaft die ökologischen Vorteile der Bioenergie. Durch den hohen Düngemittelverbrauch gelangen große Mengen von Stickstoffverbindungen in die Luft, die dann wiederum als starkes Treibhausgas wirken. Für die Leopoldina-Experten ist nach Abwägung aller Argumente klar: „Um den Verbrauch von fossilen Brennstoffen und die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren, sollte Deutschland nicht den weiteren Ausbau von Bioenergie anstreben.“ Stattdessen könnten andere alternative Energieformen, wie Windkraft und Photovoltaik ausgebaut werden, die bei gleichem Flächenverbrauch einen relativ höheren Energieertrag bringen. Mehrfachnutzung der Biomasse gefordert Gänzlich kann auf die Energie aus Biomasse jedoch nicht verzichtet werden, dass ist auch den Studienautoren klar. Sie plädieren daher dafür, die Bioenergieerzeugung konsequent mit anderen Nutzungen zu verzahnen. Statt des Anbaus reiner Energiepflanzen, sollen Nahrungsmittel- und Bioenergieproduktion miteinander kombiniert werden, etwa indem Mist und Gülle aus der Tierhaltung und Lebensmittelabfälle als Energielieferanten dienen. Bioraffinerien zur Herstellung von Kraftstoffen der zweiten Generation, wie die erst kürzlich in Straubing eröffnete Anlage, die statt stärkehaltiger Früchte, cellulosehaltige Reststoffe zu Bioethanol umwandelt (mehr…), sehen die Forscher hingegen weniger kritisch. Wichtig sei es aber, dass „netto deutlich weniger Treibhausgase emittiert werden, als dies bei der Verbrennung einer energie-äquivalenten Menge fossiler Brennstoffe der Fall ist.“ Unabhängig vom Leopoldina-Bericht räumen Forscher auch der sogenannten Koppelnutzung große Potenziale ein: Dabei werden mit den nachwachsenden Rohstoffen zunächst wertvolle Plattformchemikalien oder Wirkstoffe produziert. Erst anschließend werden die Reststoffe energetisch verwertet. Auch im Transportwesen wird auf absehbare Zeit nicht auf die grünen Kraftstoffe verzichtet werden können. Wasserstoff- oder Elektroantriebe sind beispielsweise viel zu klobig und schwer, als dass sie in Flugzeugen verbaut werden könnten. Die Energiedichte in den flüssigen Treibstoffen ist bisher einfach unerreicht (mehr…). Plädoyer für geänderte Essgewohnheiten Bei ihrer umfassenden Analyse der Biomasseproduktion werfen die Leopoldina-Experten auch einen Blick auf die Verwendung von Biomasse für die Nahrungsmittelproduktion. Weil rund ein Drittel der Nahrung auf deutschen Produkten aus tierischen Produkten (beispielsweise Fleisch oder Molkereiprodukte) besteht, ist der Biomassebedarf für die Landwirtschaft enorm. Nur zum Füttern der Tiere müssen jährlich mehr als 60 Millionen Tonnen Kohlenstoff als pflanzliche Biomasse aufgebracht werden, berichten die Experten. Gleichzeitig ist die Nutztierhaltung mit der Freisetzung von Methan verbunden, dass zum Beispiel Kühe produzieren, wenn sie ihr Rauhfutter verdauen. Würden Menschen nun weniger tierische Lebensmittel essen, wäre weniger Biomasse für Tierfutter erforderlich und die Landwirtschaft könnte weniger intensiv betrieben werden. Das Fazit der Leopoldina-Experten: Der dadurch verursachte Rückgang der Treibhausgas-Emissionen würde „wahrscheinlich stärker zur Milderung des Klimawandels beitragen, als es die meisten Bioenergie-Produktionen leisten können.“ Quelle: biotechnologie.de/bk