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Impfstoffboost aus dem Labor statt der Haileber
07.10.2020

Squalen verstärkt Impfstoffwirkung
Im Zentrum der meisten dieser Hilfsstoffe steht das natürliche Lipid Squalen. Als Impfstoffträger leitet Squalen die aktiven, hydrophoben Bestandteile des Wirkstoffes in die Zellen und sorgt dort für eine gleichmäßige Abgabe, Verteilung und Aufnahme des Serums. Vor dem Hintergrund der Entwicklung eines weltweit verfügbaren Coronaimpfstoffes steigt die Nachfrage an Squalen rasant, da es maßgeblich zum Therapieerfolg einer Covid-19-Impfung beitragen könnte. Jedoch zählt das natürliche Öl als knappes Gut. Zu natürlichen Squalen-Produzenten zählen Pflanzen wie Zuckerrohr, Amaranth oder Olivenbäume aber auch unterschiedliche Mikroorganismen. Ebenso der Mensch produziert dieses Lipid über die Talgdrüsen, um einen wirkungsvollen Schutzschild gegen freie Radikale und oxidativen Umgebungsstress zu bilden. All diese Lebewesen produzieren jedoch so geringe Mengen, dass die Kosmetik‑, Pharma- und Nahrungsergänzungsmittelindustrie nach wie vor auf die bisher ertragreichste Quelle an Squalen zurückgreift – die Leber von Tiefseehaien.500 Tausend Haie könnten Coronaimpfstoff zum Opfer fallen
Um eine Tonne Squalen zu produzieren, müssen ungefähr 3.000 Haie geschlachtet werden. Derzeit werden laut ungefähren Schätzungen von Umweltbehörden jährlich zwischen 2.7 — 3 Millionen Haie nur wegen des wertvollen Öls getötet. In Zeiten der Corona-Pandemie könnte diese Zahl drastisch steigen. Geht man von jüngsten Schätzungen aus, dass zwei Impfdosen pro Kopf nötig sein werden, um vollständig gegen das Coronavirus geschützt zu sein, müssten mehr als eine halbe Million Haie getötet werden. Umwelt- und Tierschutzorganisationen weltweit schlagen Alarm: Tiefseehaie haben einen langen Reproduktionszyklus und folglich eine nur langsam steigende Wachstumsrate ihrer Population. Verbunden mit ihrer Dezimierung durch rücksichtslosen Fischfang, finden sich diese Arten laut Weltnaturschutzorganisation auf der Roten Liste gefährdeter Arten (IUCN Red List of Threatened Species) wieder.Pflanzliches Squalen im Widerspruch zu Landwirtschaft
Organisationen wie das amerikanische NGO Shark Allies rufen dazu auf, alternative, nachhaltige Optionen nicht tierischen Ursprungs als Squalenquellen in Erwägung zu ziehen. Doch auch die Nutzung von Pflanzen als Squalen-Lieferanten ist nicht unumstritten: Wichtige Quellen zu verschwenden, die primär als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen sollten, kann nicht im Sinne von VerbraucherInnen und Landwirtschafts- und Nahrungsmittelindustrie sein. Dem nicht genug, benötigen Pflanzen begrenzte und kostbare Fläche, optimale Temperaturen und Feuchtigkeit sowie Klima- und Bodenbedingungen für optimales Wachstum und verbrauchen Ressourcen, etwa Dünger, Pestizide und nicht zuletzt „graue“ Energie durch landwirtschaftliche Produktion und Transportwege. Je nach Ernte, geografischer Lage und Saison schwankt der Anteil und die Qualität an Squalen in Pflanzen beträchtlich, was für die Pharmaindustrie, welche gleichbleibende Qualität benötigt, keine optimalen Voraussetzungen schafft. Derzeit sind alternative Formen, wie aus Pflanzen produziertes Squalen, um mehr als 30% teurer als tierisches Squalen, da die geringe Ausbeute von nur wenigen mg pro Liter weit davon entfernt ist, den weltweiten Bedarf an Squalen zu decken.Mikroorganismen als ideale Squalenproduzenten
Als Zukunftshoffnung unter den natürlichen Squalenproduzenten gelten Mikroorganismen. Obwohl sie grundsätzlich weniger Ausbeute erzielen als Haie oder Pflanzen es tun, bieten ihr erstaunlich schnelles Wachstum und ihre Anpassungsfähigkeit optimale Voraussetzungen für Forschungszweige wie die Synthetische Biologie, mit dem Ziel diese Mikroorganismen in größerem Maßstab als Squalen-Produktionplattformen einzusetzen. „Damit die natürliche Produktionsleistung von Mikroorganismen angekurbelt werden kann, setzen wir verschiedene, biotechnologische Instrumente ein, um aus mikrobiellen Zellen optimierte Squalen-Fabriken zu machen“, erklärt Harald Pichler, Forscher am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und am Institut für Molekulare Biotechnologie der Technischen Universität Graz. Einem Forscherteam rund um Harald Pichler und die ehemalige Dissertantin Sandra Moser ist es gelungen, Squalen in größeren Mengen mithilfe von Mikroorganismen im Labor herzustellen. Pichler: „In einem soeben abgeschlossenen Projekt konnten wir als erste weltweit fermentativ natürliches Ambrein herstellen, ein Duftstoffmolekül, das auch im Verdauungstrakt von Walen vorkommt und in natürlicher und synthetischer Form hauptsächlich in der Parfumindustrie verwendet wird. Ein Zwischenprodukt auf dem Weg zu Ambrein ist Squalen, das im Rahmen der Sterolbiosynthese anfällt“, erklärt Pichler. Zur Herstellung verwendeten die Forscher den Hefestamm Saccharomyces cerevisiae, besser bekannt als handelsübliche Bäckerhefe. „Nachdem dieser Hefestamm natürlicherweise bereits dieses Lipid produziert, konnten wir durch Metabolic Engineering bestimmte Stoffwechselwege so modulieren, dass die Hefezellen plötzlich ein Vielfaches an Squalen anreichern“, erklärt Pichler. Nach Aufzucht in Bioreaktoren und weiteren Aufreinigungsschritten können die Forscher bereits mehrere Gramm an reinem Squalen herstellen. „Wir haben bewiesen, dass der Prozess im Labormaßstab funktioniert“, freut sich Pichler.Derzeit wird daran gearbeitet, die Stämme dahingehend zu optimieren, dass sie auch von der Industrie verwendet werden können. „Mit Industriebeteiligung könnte Squalen zukünftig in großem Maßstab produziert werden und daher pflanzliche und tierische Squalenquellen zur Gänze ersetzen“, so Pichler.