Während das Gros der Molekularbiologen mit der Darmmikrobe Escherichia coli arbeitet, ist Falk Harnisch von der Gattung Geobacter angetan. Deren natürlicher Lebensraum sind aquatische Sedimente – vom Flussschlamm bis zum Tiefseeboden. Seit der Entdeckung 1987 faszinieren diese Bakterien Forscher auf der ganzen Welt. Geobacter spec. waren die ersten Organismen, die organische Verbindungen und Metalle oxidieren können. Eine weitere Entdeckung hat Mikrobiologen im wahrsten Sinn elektrisiert: Sie können Elektronen über Proteinfortsätze leiten. Geobacter spielen zum Beispiel bei der biologischen Dekontaminierung eine Rolle. So wurde bei einer Havarie ausgetretenes Erdöl unter Mitwirkung von Geobacter zu Methan abgebaut. Falk Harnisch interessiert sich aber weniger für die Abbaukünste der Bakterien. Dem 30-Jährigen geht es vielmehr um das Gegenteil: „Wir wollen mikrobielle Elektrosynthese machen. Im Idealfall – der heilige Gral des Forschungsfelds – sollen aus dem Treibhausgas Kohlendioxid einmal wertvolle Chemikalien hergestellt werden.“ Andere Gruppen haben bereits gezeigt, dass das prinzipiell möglich ist. Denn Geobacter kann das Gas durchaus auch verwerten. „Dazu muss das Potenzial der Elektrode nur von positiv nach negativ ‚gedreht’ werden“, erläutert der Biochemiker. Allerdings konnten auf diese Weise bisher nur einfache organische Verbindungen wie Essigsäure und Ethanol synthetisiert werden. Harnischs Ziel ist daher, auch Verbindungen mit vier Kohlenstoffatomen wie Butan, Buttersäure oder Butanol herzustellen: „Mit denen kann man industriell einfach mehr machen“, sagt Harnisch.
Forschungspreisträger zur Biotechnologie 2020+
Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, hat Harnisch ein junges Team um sich geschart: Gemeinsam mit zwei technischen Angestellten, zwei Doktoranden und zwei Postdocs will er in den nächsten Jahren am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) die Elektrifizierung der Biotechnologie in Angriff nehmen. Eine motivierte Mannschaft, ein ideales Umfeld und eine großzügige Finanzierung – die Vorzeichen für das Projekt sind ideal. Kürzlich erhielt Harnisch den Forschungspreis im Rahmen der Initiative „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren — Biotechnologie 2020+“, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2010 gestartet hat. Neben den 1,8 Millionen Euro vom BMBF erhält Harnisch für ein weiteres Projekt zudem weitere 900.000 Euro durch die Helmholtz-Gemeinschaft. Aufgewachsen in der Nähe von Dresden zog es Harnisch zum Studium der Biochemie nach Greifswald. Dort promovierte er in der Arbeitsgruppe von Uwe Schröder, einem Pionier der Entwicklung mikrobieller Brennstoffzellen. Gemeinsam mit Schröder stellte er 2005 die erste edelmetallfreie Sauerstoffreduktionskathode für mikrobielle Brennstoffzellen vor. Er folgte Schröder später auch nach Braunschweig, wo dieser 2008 einen Ruf an der Technischen Universität annahm. Die Zusammenarbeit war äußerst ertragreich, Schröder und Harnisch lernten sich gegenseitig schätzen. Doch konnte sich der Nachwuchsforscher gegenüber der TU Braunschweig kaum Autonomie erkämpfen. „Ab einem gewissen Punkt habe ich dann Alternativen gesucht“, resümiert der Biotechnologe. Das UFZ in Leipzig biete die entsprechenden Rahmenbedingungen und auch der Leiter der Abteilung Umweltmikrobiologie, Hauke Harms, habe ihn von Beginn an unterstützt, so Harnisch.
Spezialist für Langstrecken
Neben den Stationen in Greifswald und Braunschweig forschte Harnisch 2011 für ein halbes Jahr in Australien. Am Advanced Water Management Centre der University of Queensland in Brisbane arbeitete er mit einem anderen Pionier zusammen: Korneel Rabaey, einem Vordenker der Elektrobiotechnologie. Für Harnisch war das Australien-Abenteuer ein einschneidendes Erlebnis: „In Brisbane bin ich mit den unterschiedlichsten Kollegen, seien es Nanowissenschaftler oder Abwasserexperten, in Kontakt gekommen. Das hat den fachlichen Horizont enorm erweitert.“ Das Ergebnis des Auslandsaufenthalts: sechs Publikationen und zwei Buchkapitel. „Ich würde die Zeit dort schon als produktiv bezeichnen“, konstantiert Harnisch. Nur am Nationalsport der Australier konnte er sich nicht begeistern: „Ich bin ein Marathonläufer – aber kein Surfer.“
Bioreaktoren unter Spannung setzen
In Leipzig will sich Harnisch in den kommenden Jahren nicht nur der Synthese von organischen Verbindungen aus Kohlendioxid widmen. In einem anderen Projekt soll erkundet werden, wie Fermentationsreaktionen optimiert werden können. Harnisch will die Mikroben elektrochemisch beeinflussen. Ein gutes Beispiel sei zum Beispiel die Umwandlung von Glycerin, einem Abfallstoff der Biodieselindustrie, zu 1,3‑Propandiol, einem Grundstoff für die Kunststoffherstellung: „Energetisch bedingt entstehen bei der Fermentation von Glycerin neben 1,3‑Propandiol auch in etwa zur Hälfte ungewünschte Produkte wie zum Beispiel die kleinen organischen Säuren Essig- und Ameisensäure.“ Die Mikroorganismen müssen solche oxidierte Moleküle herstellen, um das interne Redoxgleichgewicht aufrechtzuerhalten. Harnischs Idee ist, den Ausgleich über externe Elektroden zu schaffen, das Fermentationsgleichgewicht zu verschieben und so die Ausbeute an 1,3‑Propandiol zu erhöhen. Noch gibt es auf der ganzen Welt keine solchen Bioreaktoren „unter Spannung“, die den Status der Marktreife erreicht haben. Harnisch will das ändern. Seine Rhetorik diesbezüglich ist vielleicht ein Mitbringsel aus Australien, denn er will das „weite, unerforschte Feld besetzen“ und gleich noch „die Claims abstecken“. Quelle: biotechnologie.de (Autor: Martin Laqua)