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Der Hausschwamm als Chemiker
27.01.2017
Die Komplexität der Natur im Labor nachvollziehen
In jüngerer Zeit widmen sich die Wissenschaftler verstärkt der Frage, welche Rolle kleine Naturstoffmoleküle in der natürlichen Umgebung ihrer Produzenten spielen. Offenbar – so die Hypothese – sind diese Substanzen häufig an Signal- und Kommunikationsprozessen beteiligt, die die Zusammensetzung und das Verhalten komplexer Lebensgemeinschaften steuern. In solchen Fällen genügt es nicht, einen bestimmten Mikroorganismus in Reinkultur zu züchten und anschließend die von ihm freigesetzten Moleküle zu analysieren. Vielmehr müssen die Experten versuchen, die Komplexität der Natur wenigstens ansatzweise im Labor nachzuvollziehen. Keine einfache Aufgabe, stellen doch verschiedene Arten häufig sehr unterschiedliche Anforderungen an die Wachstumsbedingungen. Jenaer Wissenschaftler widmen sich in mehreren großen Forschungsvorhaben dieser Thematik mit ihren weitreichenden Folgen auch für Leben und Gesundheit des Menschen. Im Rahmen des Sonderforschungsbereiches ChemBioSys ist einem Team um Dirk Hoffmeister nun erstmals der Nachweis gelungen, dass Bakterien die Synthese bestimmter Naturstoffe in Ständerpilzen anschalten können. Zu dieser großen Gruppe mit der wissenschaftlichen Bezeichnung „Basidiomyceten“ gehören die meisten bekannten essbaren Pilze wie der Steinpilz oder der Champignon, ebenso der giftige Knollenblätterpilz und der holzzerstörende Hausschwamm. Letzterer ist relativ problemlos im Labor kultivierbar und wird daher von Dirk Hoffmeister und seinen Mitstreitern als Modellorganismus untersucht.Dem Hausschwamm beim Farbwechsel zusehen
Der Professor für Pharmazeutische Mikrobiologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena war es auch, der an der Entschlüsselung des gesamten Erbgutes von Serpula lacrymans – so der wissenschaftliche Name des Hausschwamms – beteiligt war. In der aktuellen Studie kultivierten sein Team sowie Professor Axel Brakhage und Mitarbeiter vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie den Pilz gemeinsam mit verschiedenen Bakterien. Dabei stellte sich heraus, dass diejenigen Gene verstärkt angeschaltet wurden, die im Pilz für die Bildung verschiedener Farbstoffe verantwortlich sind. Mit bloßem Auge war dann erkennbar, wie sich das Pilzmycel und der Nährboden in der Umgebung leuchtend gelb einfärbten. Verantwortlich dafür waren Pigmente mit exotisch klingenden Namen wie Atromentin‑, Variegat- oder Xerocomsäure. Hoffmeister über die Bedeutung dieser Ergebnisse: „Wir können heute den Mikroben dabei zusehen, wie sie miteinander ‚sprechen‘. Wir betrachten dabei nicht mehr einzelne Organismen, sondern nähern uns in einem ganzheitlichen Ansatz den sehr komplexen Lebensgemeinschaften, die wir in der Natur finden. Mit herkömmlichen Mitteln wäre uns das nicht gelungen. Pilze sind hervorragende Chemiker und wir sind dabei, ihre Fähigkeit zu erkennen und zu nutzen.“Eine Lösung, viele neue Fragen
Wie häufig in der Wissenschaft wirft die Lösung eines Problems sogleich neue Fragen auf. Im vorliegenden Fall interessieren sich die Forscher nun für die Funktion der gebildeten Farbstoffe in der Natur, schließlich werden sie ja erst durch den allgegenwärtigen Kontakt mit Bakterien in nennenswerter Menge gebildet. Mindestens ebenso spannend ist jedoch die Frage nach dem eigentlichen Auslöser der Farbstoffbildung. Denn dies dürften kaum die verwendeten Bakterien selbst sein, sie gehören sehr unterschiedlichen Verwandtschaftskreisen an. Vielmehr ist zu vermuten, dass diese Bakterien ihrerseits bestimmte Signalmoleküle freisetzen, die die Gene im Pilz aktivieren. Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie sich auch im mikroskopischen Bereich Kommunikationsprozesse zwischen Organismengruppen abspielen, die verwandtschaftlich sehr weit auseinanderstehen, wie dies bei Bakterien und Pilzen der Fall. Es ist gut möglich, dass auch zwischen den Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln – allein im Darm tragen Menschen ca. 1,5 kg Bakterien mit sich herum – und ihrem Wirt intensive Wechselwirkungen stattfinden, die sich auf unser Wohlbefinden auswirken.Originalpublikation
Tauber JP et al. (2016) Bacteria induce pigment formation in the basidiomycete Serpula lacrymans. Environmental Microbiology 18, 5218 – 5227, DOI: 10.1111÷1462−2920.13558[gekürzt] Quelle: idw/Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie — Hans-Knöll-Institut (HKI)