Forscher nutzen Cellulose-Nano-Fibrillen zur Herstellung eines Trägermediums für die Schaltkreise eines Computerchips. Das Material ist transparent und flexibel und kann von Pilzen rückstandslos zersetzt werden. Dies könnte dabei helfen, die Abfallmengen ökologisch bedenklicher Halbleitermaterialien in digitalen Geräten zu reduzieren. Gordon Moore ist eine lebende Legende. Vor genau 50 Jahren formulierte er in der Fachzeitschrift „Electronics“ das Gesetz für die digitale Revolution, das Mooresche Gesetz: Die Verdoppelung der Prozessorleistung alle 12 Monate. Heute spricht man in Bezug auf Intel-Manager David House von einer Verdoppelung der Rechenleistung von Computerchips im Zeitraum von 18 Monaten. Konkret bedeutet das, dass sich die Rechenleistung seit 1970 um den Faktor 1 Million erhöht hat, ein heutiger Computer in 30 Sekunden jene Rechenleistung erbringt, für die sein „Vorfahr“ rund 1 Million Jahre gebraucht hätte, wie Nathan Myhrvold, Mitbegründer von Microsoft anschaulich erklärt.
Folgen der digitalen Revolution
So vorteilhaft sich die digitale Revolution für nahezu alle Lebensbereiche erwies, so unvorhersehbar waren die Folgen für die Pioniere zu damaliger Zeit. In diesem Fall nicht in Bezug auf das Thema Datenschutz, sondern hinsichtlich seiner ökologischen Auswirkungen. Ein Forscherteam hat nun einen Weg gefunden, die negativen Effekte ein Stück weit abzufedern, die sich aus den Abfällen ökologisch bedenklicher Bauteile ergeben: Sie haben einen Computerchip entwickelt, der zu über 99% aus biobasierten Materialien besteht, und liefern das passende Recycling-System gleich mit dazu.
99 % eines Chips dienen nur zur Stütze der Schaltkreise
Das Forscherteam setzte am Herzen eines jeden Computers an: „Über 99% des verwendeten Materials in einem Computerchip dienen nur als Gerüst. Entscheidend für seine Funktion sind aber nur ein paar wenige, hauchdünne Mikrometer“, erklärt Zhenqiang Ma den Ansatz. Er und seine Kollegen widmeten sich jenen 99%, die im Grunde nur eine Stützfunktion und keine elektronisch leitende Funktion ausüben. Ingenieure sprechen vom Substrat. Sie fragten sich: Besteht nicht die Möglichkeit, ein nachwachsendes und umweltfreundlicheres, biobasiertes und biologisch abbaubares Material zu entwickeln, das an Stelle der klassischen Halbleiterstoffe wie Silicium (Si), Siliciumcarbid (SiC), Indiumphosphid (InP) oder Galliumarsenid (GaAs) genutzt werden kann, so dass nur jene Chip-Bauteile, auf die es wirklich ankommt, aus diesen Materialien gefertigt werden?
Der Baum als Rohstoffquelle
Der Wissenschaftler bejaht diese Idee: „Man nehme einen Baum und zerstückele ihn in seine groben Bestandteile, die Fasern, und erhält aus deren Verarbeitung ein ziemlich gewöhnliches Produkt: Papier. Geht man nun einen Schritt weiter, auf die Nanometer-Ebene, so erhält man ein sehr stabiles und transparentes Material, das aus Cellulose-Nano-Fibrillen (CNF) besteht.“ Auch bekannt unter der Bezeichnung Mikrofibrillen: Bestandteile der pflanzlichen Zellwand, die nur wenige Nanometer groß sind und aus bis zu 20 Elementarfibrillen bestehen, welche wiederum aus bis zu 50 Cellulosefäden bestehen. Diese spielen als Rohstoff für biobasierte Materialien und die Bioökonomie eine wichtige Rolle. Knüpft Cai mit der Entwicklung des „CNF-Papiers“, wie er seine Erfindung selbst bezeichnet, an die Tradition seines Namensvetters an, der das erste überlieferte Verfahren zur Papierherstellung im Jahr 105 n. Chr. niederschrieb?
Vorteile und Hürden der Cellulose-Nano-Fibrillen
„Der entscheidende Vorteil der Cellulose-Nano-Fibrillen gegenüber herkömmlichen Polymeren ist, dass diese vollkommen biobasiert und biologisch abbaubar sind und nicht auf Erdölbasis bestehen“, erklärt Shaoqin Sarah Gong, Professorin für Biomedizinische Technik. Gleichzeitig hebt sie hervor: „Holz ist ein natürliches, hygroskopisches Material. Das heißt, es nimmt Feuchtigkeit aus der Umgebung auf und dehnt sich anschließend aus.“
Ohne klassische Halbleiter geht es nicht
Zugegeben: auch im neuen Verfahren lässt sich nicht ganz auf die klassischen Halbleitermaterialien wie Galliumarsenid oder Silicium verzichten. Das fehlende 1 %, auf das es ankommt, die elektronischen Schaltkreise, bestehen nach wie vor aus diesen Werkstoffen. Sie bilden die Ausgangsstoffe, aus denen die filigranen Schaltkreise bestehen, durch die je nach Anliegen einer Steuerspannung oder ‑stroms zielgerichtet Strom fließt. Aus diesem Grund laufen die ersten Schritte der Produktion, in denen die Schaltkreise zunächst in Rohlingen eingeätzt und als Grundbaustein hergestellt werden, nicht anders als bei herkömmlichen Chips ab. Komplett anders ist jedoch das, was folgt:
Schritt für Schritt zur Bio-Basis
Nachdem die Schaltkreise in den Rohling aus Galliumarsen oder Silizium Schicht für Schicht eingeätzt worden sind und im Grunde einsatzbereit sind, werden jene Schaltkreise nun bei hoher Temperatur und mittels Hydrofluor-Säure (Flusssäure) vom Rohling abgelöst und mit Hilfe eines Silikon-Stempels auf einem Siliziumrohling platziert. Dort werden je nach Bedarf weitere Schaltkreise hinzugefügt und verbunden. Der Schaltkreis wird je nach Anforderung seiner zukünftigen Aufgaben komplettiert. Anschließend kommt der Silikon-Stempel erneut zum Einsatz. Er hievt den fertigen Schaltkreis vom Siliziumrohling auf den biobasierten Träger, das CNF-Papier.
Schaltkreis und Substrat bestehen fortan aus unterschiedlichen Materialien
Der neue Chip unterscheidet sich also maßgeblich von herkömmlichen Chips darin, dass Schaltkreis und Substrat nicht mehr aus demselben Material bestehen, sondern aus zwei unterschiedlichen. Was die vollständige biologische Abbaubarkeit betrifft, bezieht sich diese Eigenschaft deshalb zunächst auch nur auf das CNF-Papier und nicht die Schaltkreise selbst. Die Abbauarbeit, das Recycling des Substrats übernehmen zwei Pilzarten: Postia placenta und Phanerochaete chrysosporium. Beide überwuchern das Substrat mit ihren filigranen Hyphen und verdauen es anschließend innerhalb weniger Wochen. Doch was passiert mit dem Rest? „Wenn das Substrat erst einmal vollständig abgebaut wurde, können die zurückgebliebenen Bauteile und Schaltkreise eingesammelt werden und in einem weiteren Schritt recycelt werden“, antwortet Ma.
Noch ist der Chip nicht kompostierbar
Zwar widerspricht dies der Vorstellung, Computerchips künftig auf dem Kompost entsorgen zu können, dennoch überwiegt der ökologische Nutzen, wie die Forscher betonen. Ein Beispiel ist die Gefahr der Verunreinigung des Grundwassers Wasser durch Halbleiterstoffe, die bei unachtsamer Entsorgung in die Umwelt gelangen könnten. „Vergleicht man die Menge an Wasser, die durch das Wegwerfen eines Handys verunreinigt wird, so reduziert sich diese von 138 auf 0,33 Liter, wenn statt der herkömmlichen Chips die biobasierte Variante verwendet wird“, rechnen die Forscher vor. Dies entspricht einer Cola Dose.
Biobasiert und flexible Computerchips für die Masse?
Das neue Verfahren demonstriert, dass biobasierte Materialien auch für den Einsatz in der Computertechnologie geeignet sind und den Vergleich mit herkömmlichen Materialien nicht scheuen müssen, wie Tests belegen. Und das nicht nur in puncto Umweltverträglichkeit oder Kosten, sondern auch, was die Wünsche der Industrie und der Kunden betrifft, wie Ma zum Schluss betont. „Computerchips sind Massenwaren, die schnell und günstig produziert werden müssen. Weil sich unser Verfahren problemlos in bestehende Produktionsprozesse integrieren lässt, sind die Hürden relativ gering. Hinzukommt ein Design-Aspekt: Flexible und biegsame Geräte, die sich z.B. um das Handgelenk schmiegen, gehört die Zukunft. Die Voraussetzung dafür sind flexible Bauteile. Auch was das betrifft, befinden wir uns mit dem CNF-Papier auf der Höhe der Zeit!“
Mehr Geräte, kürzere Lebenszyklen
Denn so beeindruckend die Prognosen für das Jahr 2015 auch sein mögen, so alarmierend sind sie zugleich: Steigende Absatzzahlen im zweitstelligen Bereich für Smart-Phones, Laptops, Tablets und Co. auf der einen Seite. Auf der anderen Seite immer kürzer werdende Lebenszyklen für technische Geräte. Macht zusammengenommen mehrere Millionen Tonnen an weltweitem Elektroschrott pro Jahr. Tendenz steigend.
Die Schattenseiten der Digitalisierung
Der Megatrend Digitalisierung hat somit seine Schattenseiten und birgt negative Folgen für die Ökosysteme. Angefangen bei der Gewinnung der Rohstoffe, wie z.B. der Abbau seltener Erden wie Tantal (Ta), Gold (Au), Palladium (Pd), Silber (Ag), Cobalt (Co) oder Kuper (Cu), bis hin zur Entsorgung von Smart-Phones, die nicht einmal 18 Monate in Benutzung waren, oder Computern, die keine 3 Jahre gelaufen sind. Da ein Zurück in die Ära vor dem Computer unvorstellbar und utopisch ist, ebenso wie ein vollständiger Wandel unseres Konsumverhaltens, heißt es, den Blick in die Zukunft zu richten. Sprich, Geräte zu entwickeln, die umweltverträglicher sind als der heutige Standard und gleichzeitig keinen technologischen Rückschritt bedeuten.
Mehr als nur das Effizienzlabel
Die Forscher hoffen daher, dass ihr Vorstoß wahrgenommen und aufgegriffen, der Einsatz biobasierter Materialien in der Computertechnologie vorangetrieben wird. Schließlich achten Hersteller wie Verbraucher schon heute darauf, Handys, Computer oder Fernsehgeräte umweltfreundlicher zu machen bzw. zu nutzen. Jedoch muss dies langfristig über das Thema Energieeffizienz und das Energieeffizienzlabel hinausgehen und die Materialien und Bauteile als entscheidendes Kriterium in den Blick nehmen. Konkret: Es kann zukünftig nicht nur darum gehen, die Nutzung von digitalen Geräten umweltfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten, sondern die gesamte Wertschöpfungskette: Von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung.
Originalpublikation
Ma, Z. et al. (2015): High-performance green flexible electronics based on biodegradable cellulose nanofibril paper. In: Nature Communications 6, (7170), 26. Mai 2015, doi:10.1038/ncomms8170 Quelle: Pflanzenforschung.de