Die Gründe dafür sind vielschichtig. Insbesondere bei den Spritzgießern gibt es bisher meist nur wenige empirische Erfahrungen und oft auch zahlreiche Vorbehalte. Rund 20 Experten aus Forschung und Industrie trafen sich am WIP-Kunststoffe e.V., Wissens- und Innovations-Netzwerk Polymertechnik, in Hannover zum gemeinsamen Erfahrungs- und Wissensaustausch und um Denkanstöße für neue Lösungen zu erarbeiten. “Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem viele Biokunststoffe technisch schon konkurrenzfähig sind. Nun sollten wir auch intensiver in den Dialog mit der Politik und den Verbrauchern treten“, fasste Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres, Leiter des Instituts für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe an der Hochschule Hannover — IfBB (IBB-Netzwerkmitglied), die Problematik in seiner Eröffnungsrede zusammen. Grundsätzlich müsse man bei der Definition aber zwischen biologisch basierten langlebigen und biologisch abbaubaren Kunststoffen, die durchaus auf Mineralölbasis beruhen, unterscheiden. In der Öffentlichkeit werde dort oft nicht sauber differenziert und “Bio“ immer mit “kompostierbar“ gleichgesetzt. Biobasierte Kunststoffe generieren sich aus stetig nachwachsenden Ressourcen wie Cellulose, Zucker oder Stärke. Diese regenerierbaren Polymerrohstoffe sind damit nicht wie die Ölvorkommnisse endlich – das sei der entscheidende Vorteil. “An dieser Stelle ist aus unserer Sicht die Politik gefordert, entsprechende Maßnahmen, ähnlich wie bei der Förderung von Biogasanlagen, zu ergreifen“, so Endres. “Bereits heute könnte allein schon auf den Flächen, die derzeit für den Maisanbau zur Biogasgewinnung in Deutschland genutzt werden, der gesamte Rohstoffbedarf angebaut werden, der die weltweite Nachfrage nach Biokunststoffen abdeckt.“ Die weltweite Produktionskapazität für Biokunststoffe beziffert das IfBB für 2013 auf 1,48 Mio. jato. Davon entfallen 550.000 jato auf biologisch abbaubare sowie 930.000 jato auf biobasierte langlebige Biokunststoffe. Für die kommenden Jahre erwartet das IfBB deutliche Wachstumsraten. 2014 wird ein weltweites Volumen von 2,03 Mio. jato, 2015 ein Volumen von 4,82 Mio. jato und 2016 sogar ein Volumen von 5,78 Mio. jato prognostiziert. Größter Abnehmer für Biowerkstoffe ist die Verpackungsindustrie (Flaschen) mit 64%. Größtes Wachstum verzeichnet hier vor allem biobasiertes PET. Dahinter folgen andere Verpackungslösungen (18%), technische Anwendungen (11%), Cateringartikel (2%), Produkte für den täglichen Verbrauch (2%) und landwirtschaftliche Produkte (2%). “Die größten Anlagen entstehen derzeit jedoch nicht in Europa, sondern vor allem in Asien und Südamerika“, so Endres.
Hemmnisse und Schwierigkeiten
Angesichts dieser Wachstumszahlen stellt sich nun die Frage, warum Biowerkstoffe sich bislang nur zögerlich am Markt etablieren konnten. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass von Biowerkstoffen oftmals das gleiche Leistungs- und Verarbeitungsspektrum erwartet wird wie von ihren fossilen Pendants. So berichtete Dr.-Ing. Martin Bussmann, Segment Biodegradable Polymers bei der BASF: “Wir müssen Biopolymere entwickeln, die das Gleiche leisten können wie die seit 40 oder 50 Jahren auf dem Markt etablierten fossilen Polymere. Das ist eine große Herausforderung. Mit dem biobasierten Ecovio, das zu einem hohen Anteil PLA enthält, sind wir seit einigen Jahren auf dem Markt und müssen teilweise noch gegen viele Vorbehalte kämpfen.“ Dabei sei zu bedenken, dass es bislang nur wenig Erfahrungswerte, Datenblätter oder Zertifizierungen zum Thema Biowerkstoffe gibt. Ähnlich großer Nachholbedarf besteht bei der werkstoffspezifisch optimalen Auslegung der Spritzgießwerkzeuge. Hier gibt es nur wenig Know-how am Markt. Dies gilt zum Beispiel bei der Entlüftung von Kavitäten oder für entsprechende Angusssysteme und Fließwegdimensionierungen, die den unterschiedlichen Viskositäten der neuartigen Werkstoffe gerecht werden. Oftmals soll auf einem Standard-Polyolefinwerkzeug auch ein Biopolymer verarbeitet werden und das geht oftmals schief.
Kein Platz für Experimente
Dass es bei der Verarbeitung von Biokunststoffen in der Praxis oftmals nicht ganz rund läuft, bestätigten auch die Teilnehmer der Tagung – auch wenn dies oftmals weniger am Werkstoff als an dem Wissensdefizit bei den Verarbeitern liegt. “Unser erster Versuch mit Biopolymeren endete in Rauch und Feuer“, so ein Verarbeiter aus der Möbelbranche. Auch ließen die strengen Vorgaben der Kunden insbesondere aus der Automobilindustrie oftmals keinen Raum, die relativ junge Werkstoffgruppe der Biokunststoffe einzusetzen oder zu testen. “Die Kunden fordern heute 100 Prozent Qualität ohne Abstriche, sonst drohen uns massive Vertragsstrafen. Zusätzliches Budget für Prüfungen oder Simulationen neuer Werkstoffe gibt es da nicht“, bringt es ein weiterer Verarbeiter auf den Punkt. Insbesondere kleinere Mittelständler könnten sich das schlichtweg nicht leisten. Oftmals wünschen sich die Verarbeiter auch mehr Impulse seitens der Kunden: “Ein normaler Spritzgießer probiert nicht aus, wenn er nicht gefragt wird, sprich, wenn der Markt es nicht fordert“, wie ein Tagungsteilnehmer betonte.
Vortrocknung ist entscheidend
Innerhalb der Gruppe der chemisch neuartigen biobasierten Kunststoffe gelten die auf Milchsäure basierenden Polylactide (PLA) als die am weitesten entwickelten Biokunststoffe für Spritzgießanwendungen. Zu den Stärken zählen ihre kommerzielle Verfügbarkeit, ihre preisliche Konkurrenzfähigkeit sowie ihre breite Rohstoffbasis und hohe Verfügbarkeit dank des Einsatzes nachwachsender Rohstoffe. “Eine Schwäche von PLA ist die Hydrolyseanfälligkeit“, so Dr. Andrea Siebert-Raths vom IfBB. “Gerade beim Spritzgießen ist die Vortrocknung entscheidend.“ Um diesem Prozess entgegenzuwirken, hat das IfBB in Zusammenarbeit mit der Rhein Chemie den Zusatz von Carbodiimiden (Säureblockern) getestet. Ziel dabei ist es, die Hydrolyse zu verhindern und die Langzeitbeständigkeit zu erhöhen. Das Ergebnis war überzeugend: Die Trocknungszeit konnte um bis zu 50% reduziert werden. Zusätzliches Plus: Die Langzeitbeständigkeit konnte ebenfalls erhöht werden. Großes Einsatzpotenzial für PLA sieht Siebert-Raths neben der Verpackung ebenfalls in technischen Anwendungen, hier stehen unter anderem Zykluszeiten, Wärmeformbeständigkeit und Langzeitbeständigkeit im Vordergrund. Die Forschungsergebnisse aus dem IfBB zeigen, dass mit den richtigen Modifizierungen/Additivierungen der Spritzgießprozess optimiert werden kann und dass auch die mechanischen und thermomechanischen Eigenschaften signifikant verbessert werden können. Im Officebereich, wo eine hohe Designfreiheit, Kratzbeständigkeit, hohe Transparenz oder gute Einfärbbarkeit gefordert sind, ist viel Potenzial für den Einsatz von PLA vorhanden.
Maschinenbauer setzen auf schonende Verarbeitung
Auch aus Sicht des Münchener Maschinenbauers Krauss Maffei haben Biokunststoffe viel Potenzial aufgrund ihrer Nachhaltigkeit. Das Unternehmen setzt hier vor allem auf seinen Spritzgießcompounder, wie Stefan Schierl, Technology Development, betonte. Grundsätzlich sei bei den meisten Biokunststoffen auf eine schonende Verarbeitung zu achten. Für längere Versuche und die Produktion sollte die Schnecke für optimale Verarbeitungsergebnisse bei manchen Biokunststoffen noch etwas angepasst werden. Andere, insbesondere chemisch strukturgleiche, Biokunststoffe zeigen (erwartungsgemäß) ein gewohntes Verarbeitungsverhalten. Eine problemlose Verarbeitung aller biobasierten PA-Typen sei zum Beispiel unter Standardeinstellungen möglich. Bei den längerkettigen Biopolyamiden seien lediglich teilweise etwas längere Kühlzeiten erforderlich. Bei der Untersuchung von Bio-PA sei kein erhöhter Materialabbau feststellbar, auch seien kaum Unterschiede zwischen Bio-PA und konventionellem PA in der Korrosion erkennbar. “Grundsätzlich müssten Biokunststoffe an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Hier gibt es sicherlich noch einige Informationslücken zu schließen“, so Schierl.
Coca-Cola macht es vor
Summa summarum kann man also sagen, dass es noch einen großen Nachholbedarf in Sachen Aufklärung und Informationen zum Thema Biokunststoffe gibt. Das IfBB hat sich zur Aufgabe gemacht, diesem Manko entgegenzusteuern. Mittlerweile gibt es dazu drei kostenlose Datenbanken im Bereich der technischen Kennwerte, der Beschaffung und der Marktsituation inklusive Prozessrouten, Land- und Rohstoffbedarf, mit denen die derzeit bestehende Informationslücke zwischen der zunehmenden Anzahl an neu entwickelten Werkstoffen und Verarbeitern sowie Anwendern geschlossen werden soll. Unterstützung bei der spezifischen Prüfung der Verarbeitbarkeit oder zum Beispiel bei der Analyse des Entformungs- oder Schwindungsverhaltens bietet die UL International TTC GmbH in Krefeld-Uerdingen. Aber auch im Rahmen von zusätzlichen Veranstaltungen wie der hier resümierten und durch das vom BMELV geförderte Projekt „Verarbeitung von biobasierten Kunststoffen und Errichtung eines Kompetenznetzwerkes im Rahmen des Biopolymernetzwerkes der FNR“ sollen Informationsdefizite identifiziert und im anschließenden Dialog auf allen Ebenen abgebaut werden. Ein weiterer wichtiger Schritt ist sicherlich ein Umdenken in der Politik und in der Industrie. Dass das Thema “Nachhaltigkeit“ auch wirklich gelebt werden kann, demonstriert beispielsweise Coca-Cola. Der Konzern plant, in nächster Zeit seine Getränkeflaschen vollständig aus Bio-PET herzustellen. Es stellt sich die Frage nach dem Warum. Biobasiertes PET ist technisch nicht besser, sogar teurer. Aber das Unternehmen nimmt seine soziale Verantwortung ernst. Eine ähnliche Haltung anderer globaler Marktführer, vielleicht auch aus der Automobilindustrie, wäre wünschenswert. Grundsätzlich müsse man sich auch von dem Gedanken frei machen, fossile Kunststoffe 1:1 durch Biopolymere zu ersetzen. “Wir müssen uns intelligent bewegen und den richtigen Werkstoff für die richtige Anwendung und auch die richtige Entsorgung wählen. Bei der Verbrennung biobasierter Kunststoffe, zum Beispiel auf Basis von Bioethanol, wird die gleiche Menge an CO2 freigesetzt wie bei der direkten Verbrennung des Bioethanols, jedoch werden durch eine vorherige stoffliche Kaskadennutzung der Nutzen und die Wertschöpfung maximiert“, fasst Endres abschließend zusammen. Quelle: K‑Zeitung online (Autorin: Petra Rehmet)