Bio2Brain erforscht eine sichere Verabreichung von Biopharmazeutika in das zentrale Nervensystem
12.11.2020
Rund 165 Millionen Menschen in Europa sind von Krankheiten des ZNS betroffen, dazu zählen Multiple Sklerose, Alzheimer und Parkinson. Diese Erkrankungen sind oftmals mit einem starken Leidensdruck der Patienten und ihrer Familien sowie nicht zuletzt einer enormen Belastung der Sozialsysteme verbunden. Die besonders kritische Herausforderung bei der Behandlung von Erkrankungen des ZNS ist die sogenannte Blut-Hirn-Schranke. Diese stellt eine effektive Barriere des Körpers dar, die das Gehirn und das ZNS vor Krankheitserregern und Schadstoffen schützt. Allerdings sorgt sie auch dafür, dass insbesondere Biopharmazeutika − wie monoklonale Antikörper − das ZNS in nur sehr geringen Mengen erreichen. Daher werden zugelassene Arzneimittel − allen voran die erwähnten Biopharmazeutika − derzeit häufig durch intrathekale, intrazerebroventrikuläre oder intraparenchymale Injektionen verabreicht und gelangen auf diese Weise direkt in das ZNS. Leider weisen solche Verabreichungsformen einige Nachteile auf: sie sind invasiv, erfordern einen chirurgischen Eingriff mit hohen Risiken, führen zu einer geringen Therapietreue der Patienten und sind schlecht kontrollierbar. Es besteht daher ein dringender Bedarf an einem wirksameren neuen Ansatz, einem Paradigmenwechsel, für Technologien zur Medikamentenverabreichung bei der Behandlung von Erkrankungen des ZNS.
Europäisches Weiterbildungsprogramm mit interdisziplinärer Expertise
»Um diesen Wandel aktiv zu gestalten, haben wir nun das Netzwerk ›Bio2Brain‹ ins Leben gerufen«, erklärt Dr. Carmen Gruber-Traub vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, die das Bio2Brain-Projekt leitend koordiniert. »Gefördert wird das Netzwerk im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA) des EU-Forschungsförderprogramms Horizont 2020, die aufgrund ihres Bottom-up-Ansatzes und ihrer wissenschaftlichen Exzellenz sehr beliebt, aber auch äußerst kompetitiv sind. Deswegen freuen wir uns sehr, dass wir uns diese Förderung sichern konnten.« Die Förderung ist zunächst auf vier Jahre festgelegt. Der Zusammenschluss soll eine Forschungsumgebung für die interdisziplinäre und sektorübergreifende Ausbildung von 13 Nachwuchsforschenden (Early Stage Researcher, kurz ESR) schaffen. Sie werden dabei von elf Forschungseinrichtungen und Universitäten, sechs Industriepartnern und einer akademischen Non-Profit-Organisation unterstützt. Getreu dem Prinzip »Ausbildung durch Forschung« arbeiten die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für eine Dauer von 36 Monaten an ihren eigenen individuellen Forschungsprojekten, die wiederum Teil der wissenschaftlichen Arbeitspakete sind. Sie werden dabei von einem individuellen Trainingsprogramm begleitet. Ein wesentlicher Vorteil des Netzwerks ist die sehr enge Verbindung zur Industrie und damit auch der Zugang zu Schlüsseltechnologien in diesem Forschungsfeld. Sowohl durch gemeinsame Trainingsaktivitäten und Workshops als auch durch Mentoring und Entsendungen an Einrichtungen in den jeweils anderen (akademischen bzw. nicht-akademischen) Sektor und/oder einer anderen Disziplin genießen die ESR eine erstklassige Ausbildung und Qualifizierung für den späteren Arbeitsmarkt. Die ESR erhalten im Laufe dieses Trainingsprogramms Einblick in die Entwicklung neuer fortschrittlicher Materialien, Formulierungen und technischer Proteine für die intranasale ZNS-Verabreichung von monoklonalen Antikörpern. Sie können dadurch Erfahrung im gesamten transdisziplinären Entwicklungszyklus eines Arzneimittels sammeln, von der pharmakologischen Wirkstoffpfad-Validierung, dem Produkt- und Prozessdesign, der Synthese bis hin zur Charakterisierung, Validierung und Qualitätskontrolle. Hinzu kommen Werkzeuge für die Zeit bis zur Markteinführung und Kommerzialisierung.
Beteiligung des Fraunhofer IGB
Zwei der insgesamt 13 geförderten ESR nehmen am Fraunhofer IGB ihre Arbeit auf. Die beiden ESR forschen dabei an Formulierungen bzw. neuen biobasierten Materialien für den Transport von Biopharmazeutika über die Schleimhäute in das ZNS. Der Schwerpunkt des Instituts liegt hierbei auf der Materialforschung, da innerhalb des Bio2Brain-Netzwerks auch neue Materialien für die Herstellung von Partikeln und neue Hydrogele entwickelt werden. Quelle: 12.11.2020