Durch ein neues Produktionsverfahren kann künftig aus Abfällen und Resten der Zuckerrohr-Verarbeitung Bio-Kerosin hergestellt werden. Dieser kann technisch mit konventionellem, fossilem Kerosin mithalten und hat einen gewaltigen Vorteil. Es verursacht 80% weniger Treibhausgasemissionen. Die ersten Zulassungsverfahren sind abgeschlossen, die ersten Jungfernflüge absolviert. Beginnt nun bald die Zeit des Bio-Kerosins? In Zeiten des Klimawandels eine berechtigte Frage. Zwar ist der Anteil am weltweiten Ausstoß mit rund 3 % verhältnismäßig gering und das Thema Biokraftstoff ein Thema, das in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem die Gemüter von PKW- und LKW-Fahrern erhitzt, dennoch wird in der Luftfahrtbranche seit Jahren daran gearbeitet, Flugzeugtanks mit Treibstoffen auf pflanzlicher Basis zu füllen. Während Gegenwind bekanntlich das Abheben erleichtert, müssen sich Forscher, Entwickler und Produzenten von pflanzenbasierten Luftfahrttreibstoffen genau diesem stellen. Sie müssen beweisen, dass ihr Produkt mit konventionellem, fossilem Kerosin in puncto Sicherheit und Kosten mithalten und in puncto Nachhaltigkeit übertreffen kann. Rückenwind erhält die Branche nun durch die Arbeit eines Forscherteams, das ein neues Produktionsverfahren entwickelt hat, mit dessen Hilfe aus Überresten und Abfällen aus der Verarbeitung von Zuckerrohr (Saccharum officinarum) regeneratives Bio-Kerosin gewonnen werden kann. Sprich, ein Biokraftstoff der zweiten Generation.
Nachwehen der 1. Generation
Die Befürchtungen ähneln jenen, die 2010, ein Jahr vor der Einführung des Biokraftstoffs E10 im Januar 2011 laut wurden: Wie hoch ist die Energiedichte? Wie viel Kilometer kann ich mit einem Liter zurücklegen? Schadet der Treibstoff womöglich Tank, Motor und Innenleben? Landen nicht wertvolle Nutzpflanzen nun im Tank statt auf dem Teller? Zugegeben: Es sind zum Teil die Nachwehen der Debatte rund um die Biokraftstoffe der ersten Generation, welche Skepsis an der Idee des Bio-Kerosins nähren. Doch so wie der starke Gegenwind damals die Einführung erschwerte, so gekonnt stellen sich diesem die Entwickler des neuen Produktionsverfahrens. Allen voran: Alexis Bell, Hauptautor der Studie.
Hohe Anforderungen für Bio-Kerosin
„Treibstoffe für die Luftfahrt müssen frei von Sauerstoffmolekülen sein, den richtigen Siedepunkt besitzen und dürfen bei extrem kalten Temperaturen in der Stratosphäre, unterhalb von ‑30 °C, nicht gefrieren. Es dürfen sich weder Mikroorganismen im Tank bilden noch Rückstände beim Verbrennen entstehen, die sich womöglich an Bauteilen ablagern. Nicht zuletzt sollte der Treibstoff äußerst träge sein, was chemische Reaktionen betrifft, um alle Bauteile, mit denen er in Berührung kommt vor Korrosion zu schützen“, gibt Bell zu bedenken.
Noch überwiegen die Vollkosten
„Pflanzenbasierte Kraftstoffe für die Luftfahrt, wie z.B. Farnesan, können hier noch nicht mithalten. Erst unser Prozess macht es möglich, einen vollwertigen und hochwertigen Biokraftstoff für Flugzeuge herzustellen“, erklärt Bell. Doch zu welchem Preis? Über konkrete Kosten können Bell und seine Kollegen noch nicht sprechen, ihnen ging es in erster Linie um den sogenannten „proof of concept“, den Beweis, dass ihre Methode funktioniert. In weiteren Schritten muss diese für die großtechnische Produktion angepasst werden und können konkrete Kosten benannt werden. Dennoch: Der Verweis auf die Vollkosten in ihrer Studie — dass also nicht nur die Produktionskosten in den Blick genommen werden dürfen, sondern auch der ökologische und nachhaltige Nutzen, lässt vermuten, dass der neue Bio-Kraftstoff zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ganz billig sein dürfte. Doch geht es jetzt genau noch nicht darum, wie die Forscher betonen. Sie stoßen eine Tür auf und schaffen Raum für neue Möglichkeiten.
Tücken des Bio-Kerosins
Tatsächlich: Der 2014 von der Zulassungsbehörde ASTM International zugelassene Spezialtreibstoff Farnesan hat seine Tücken, wie Dr. Alexander Zschocke, Senior Manager Aviation Biofules bei der Lufthansa zu bedenken gibt: „Konventionelles Kerosin besteht aus Kohlenstoffwasserstoffketten verschiedener Längen, Farnesan aber lediglich aus C‑15-Ketten. Sprich aus 15 Kohlenstoffmolekülen. Deswegen verbrennt reines Farnesan ungünstiger als Kerosin.“ Es spielt jedoch nicht nur die Länge der Kohlenwasserstoffkette eine Rolle, sondern auch ihre Form. Anders als Farnesan besteht Kerosin aus ringförmigen Kohlenwasserstoff-Ketten (Cycloalkane). Sie sind reaktionsträge und schonen deshalb die Dichtungen in den Triebwerken. Zschocke prognostiziert deshalb: „Bei reinem Farnesan würde es also über kurz oder lang zu Lecks kommen.“ Sowohl was die Länge als auch die Form betrifft, geben die Entwickler nun Entwarnung: Nicht nur, dass ihr Biokraftstoff ebenfalls aus Cycloalkanen besteht wie konventionelles Kerosin, er kann auch in unterschiedlichen Länge hergestellt werden.
Abfälle und Reste als Ausgangsstoff
Ausgangsmaterial sind die faserigen Überreste und Abfälle, die bei der Zuckerfabrikation entstehen: die Bagasse. Diese bleibt übrig, nachdem der Zuckersaft aus dem Zuckerrohr herausgepresst wurde. Sie besteht zu 40 bis 60 Prozent aus Cellulose, zu 20 bis 30 Prozent aus Hemicellulose und zu etwa 20 Prozent aus Lignin, sowie aus Zellfasern mit energiereichen Zuckermolekülen. Um diese für das Verfahren nutzbar zu machen, greifen die Entwickler auf die Dienste eines Bakteriums zurück. Ein Bakterium, das wegen seiner Fähigkeit, aus Zuckermolekülen Aceton, Butanol und Ethanol herstellen zu können, in der Biotechnologiebranche geschätzt und häufig eingesetzt wird: Clostridium acetobutylicum. Nicht anders auch im neuen Verfahren.
Schritt für Schritt zum Bio-Kerosin
Der komplexe Prozess läuft kurz zusammengefasst wie folgt ab: Zunächst werden die gewonnenen Acetone, Butanole und Ethanole genutzt, um Ketone herzustellen. Unter der Zugabe zweier Katalysatoren, Niob-Pentoxid (Nb2O5) und Magnesium-Aluminium-Oxid (MgAlO), gehen jene Verbindungen dann Kondensationsreaktionen ein, in denen sie sich zu Zwischenprodukten verbinden, sogenannte Dimere und Trimere. Zwischenprodukte auf dem Weg vom Monomer zu Polymer. Genau diese Zwischenprodukte, die Ketone, sind es, die das Besondere an dem Verfahren ausmachen, wie die Forscher betonen. Sie können beliebig zu unterschiedlich langen, ringförmigen Kohlenwasserstoffketten zusammengesetzt werden. Ausschlaggebend ist der spätere Verwendungszweck. So können nicht nur Bausteine für Bio-Kerosin produziert werden, sondern zum Beispiel auch für industrielle Basis-Öle und Schmiermittel, die eine gänzlich andere Struktur aufweisen.
Über 80% weniger Treibhausgase
Mit Hilfe des neuen Verfahrens ließe sich der Treibhausgasausstoß von Flugzeugen um bis zu 81% im Vergleich zu fossilem Kerosin reduzieren, lauten die Berechnungen der Forscher. „Um unsere Abhängigkeit vom Erdöl schrittweise zu reduzieren, führt kein Weg an Biokraftstoffen vorbei, weil Akkus oder Brennstoffzellen auf dem heutigen Stand nicht für den Einsatz geeignet sind“, erklärt Corinne Scown, Koautorin und Kollegin von Bell. Scown weist darauf hin, dass für die Nutzung von Biokerosin nämlich weder technische Umbauten noch Nachrüstungen an bestehenden Flotten erforderlich wären. Hinzukommt das hohe Gewicht. Ein entscheidender Kostenfaktor. Dem Vorteil, Biokraftstoffe ohne Weiteres in herkömmlichen Motoren oder Turbinen einsetzen zu können, steht jedoch die Herausforderung auf der Anbieterseite gegenüber, die Produktionskapazitäten auf die Beine zu stellen. Technologisch, mengenmäßig und preislich.
Die Zuckerrohr-Raffinerie von Morgen
Den Forscher schwebt das Bild einer modernen Zuckerrohr-Raffinerie in Brasilien vor, in der je nach Nachfrage und Rentabilität eine Vielzahl von Produkten hergestellt werden kann: Zucker, Ethanol, Bio-Kerosin, Basis-Öle und Schmierstoffe für die Industrie, nicht zuletzt Wärme und Elektrizität. All dies ist mit Hilfe des neuen Verfahrens möglich, so die Forscher. Genau darin sehen sie auch einen Vorteil für die Betreiber der Bioraffinerien: „Die Erweiterung der Produktpalette erlaubt es ihnen, ihre Risiken zu streuen, sich aus der Abhängigkeit eines einzigen Abnehmers zu befreien“, erklärt Amit Gokhal, ein weiterer Koautor der Studie.
Nächster Schritt: Pilotanlage
Auch mit Blick auf die „Teller oder Tank“ Debatte, die das Thema Biokraftstoff seit seinen Anfängen überschattet, sehen die Entwickler ihr Verfahren bestätigt: „Zuckerrohr ist als C4 Pflanze nicht nur besonders produktiv sondern zudem in der Lage, auf ziemlich kargen Böden zu wachsen. Somit bleibt mehr fruchtbarer Boden für den Anbau von anderen Nutz- und Nahrungspflanzen übrig“, erklärt Bell und fährt fort: „Keine Frage: Um unsere Technologie kommerziell nutzbar zu machen, bedarf es finanzieller und politischer Unterstützung und Anreize.“ Er und seine Kollegen erhoffen sich daher, mit ihrer Studie einen Weckruf an die Verantwortlichen und Entscheider zu richten. Der nächste Schritt für sie lautet daher, eine Pilotanlage zu entwickeln, um das Verfahren im größeren Maßstab zu testen.
Bio-Kerosin in Deutschland
Auch hierzulande gibt es zahlreiche Bemühungen, nachwachsende Rohstoffe und verstärkt Abfall- und Reststoffe in Raffinerien als Rohstoffbasis zu nutzen. Das Chemisch Biotechnologische Prozesszentrum (CPB) der Fraunhofer Gesellschaft in Leuna, die Demonstrationsanlage von Clariant in Straubing, die bioliq Pilotanlage am KIT in Karlsruhe sind nur drei Beispiele hierfür. Cellulosereiche, getrocknete Restbiomasse, z.B. Stroh oder Restholz, aus der Land- und Forstwirtschaft wird dort als Rohstoff für Biokraftstoffe genutzt. Zwar ist Deutschland führend bei der Technologieentwicklung, jedoch holen andere Länder rasant auf, wie das Beispiel beweist.
Testflüge haben begonnen
Die Frage, ob sich das neue Verfahren durchsetzen wird, hängt letztendlich aber nicht nur von der Realisierbarkeit allein ab, sondern auch davon, welche Art von Bio-Kerosin letztendlich von den Fluggesellschaften bevorzugt wird bzw. welche Mischung. Weltweit führen Fluggesellschaften derzeit Testflüge mit verschiedensten Bio-Kerosin-Sorten und ‑Rezepturen durch: Bio-Kerosin auf Algenbasis oder aus Abfällen, aus pflanzlichen Reststoffen, Pflanzenölen oder tierischen Fetten. In Mixtur oder in Reinform. Aus Zuckerrohr, Restholz, Stroh oder Jatropha (Euphorbiaceae), ein Wolfsmichgewächs.
Wohin geht die Reise?
Die Zusammensetzungen, mit denen die Flugzeuge derzeit auf ausgewählten Routen betankt werden, werden gehütet wie ein Geschäftsgeheimnis. Schließlich ist Treibstoff einer der Hauptkosten- und Wettbewerbsfaktoren der Fluggesellschaften. Obwohl die Testphasen noch nicht abgeschlossen sind, kann zumindest festgehalten werden, dass sich der Luftfahrtsektor dem Thema Biokraftstoff angenommen hat. Bleibt also abzuwarten, wohin die Reise geht. Und mit welchem Treibstoff im Tank? Originalpublikation: Bell, A. et al. (2015): Novel pathways for fuels and lubricants from biomass optimized using life-cycle greenhouse gas assessment. In: PNAS Vol. 112 (25), (30. April 2015), doi: 10.1073/pnas.1508274112 Quelle: Pflanzenforschung.de