UPM: Die Entwicklung vom klassischen Papierhersteller hin zu einem Hersteller von Materialien für Alltagsgegenstände aus Holzbestandteilen
UPM steht für United Paper Mills und ist ein finnisches Unternehmen, mit 54 Fabriken und 17.000 Mitarbeitern weltweit, welches federführend im Bereich der Forst‑, Zellstoff- und Papierwirtschaft agiert. Nachdem vor allem der Markt für graphische Papiere dauerhaft schrumpft, grundsätzlich immer weniger graphisches Papier verwendet wird und somit auch weniger Altpapier zur Verfügung steht, erschließt UPM zahlreiche neue Märkte für sich.
So u.a. den Bereich der Biokraftstoffe, aber auch den der Biochemikalien. Für letztere hat der Konzern nun kürzlich in Leuna (Sachsen-Anhalt) mit dem Bau einer großen Bioraffinerie zur Herstellung von Biochemikalien begonnen, vor allem von Monoethylenglykol und erneuerbaren Füllstoffen als Ersatz für Industrieruß, aus nachhaltig erwirtschaftetem Laubholz zur Fertigung von recyclingfähigen Alltagsgegenständen und Materialien. Diese können z.B. für Anwendungen in den Bereichen Verpackungen, Textilien, Kunststoffe, Gummi aber auch Kosmetika genutzt werden. Für den Prozess werden ausschließlich Bäume genutzt, welche bei der nachhaltigen Pflege von Wäldern anfallen und sonst nicht stofflich verwertet werden, sowie Reststoffe aus Sägewerken. Ab der Fertigstellung Ende 2023 können dann der Verbrauch fossiler Rohstoffe und damit die CO2-Emissionen durch Einsatz dieser Produkte deutlich reduziert werden. Von sich selbst sagt der Konzern: „Wir liefern erneuerbare und verantwortungsvolle Lösungen sowie Innovationen für eine Zukunft ohne fossile Rohstoffe.“
Bei einem Besuch vor Ort gab uns der Vice President des Bereichs UPM Biochemicals Business, Dr. Michael Duetsch, ein umfangreiches Interview zu aktuellen Themenfeldern und Ambitionen des Konzerns.
1. Bitte erklären Sie uns doch in ein paar Worten UPMs „Biofore-Strategie“. Wie signifikant wird der Beitrag dieser Strategie jetzt und in einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe sein? Wie schätzen Sie die Notwendigkeit von Übergangslösungen ein?
„UPM verfolgt mit der sogenannten „Biofore-Strategie“ seinen eigenen Transformationsprozess vom Papier- hin zum Biomaterialhersteller. Biofore ist ein Kunstwort, dass sich aus verschiedenen Begriffen wie „Bio“, „looking forward“, aber auch „Forstindustrie“ entstanden ist. Trotz des steten Rückganges im Markt für graphische Papiere ist es dem Unternehmen gelungen, seit 10 Jahren einen gleichbleibenden Umsatz (etwa 10 Mrd. EUR) zu erwirtschaften. Dies wurde durch das Erschließen neuer Geschäftsfelder (u. a. Zellstoff, Etiketten, Biokraftstoffe, Bio-Naphtha) möglich. Diese neuen Produktfelder leisten einen signifikanten Anteil zu einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft und tragen aktiv dazu bei, Wertschöpfungsketten neu zu definieren. UPM betreibt erfolgreich industrielle Großanlagen und weiß darum, wie wichtig Energieeffizienz nicht nur für eine wettbewerbsfähige Kostenbasis, sondern auch für geringere Treibhausgasemissionen ist. UPM hat sich „The Climate Plegde“ angeschlossen, mit der Verpflichtung, ab 2040 Klimaneutralität zu erreichen. Werden zukünftig die Prozesse einer Bioraffinerie mit erneuerbarer Energie betrieben, wird der CO2-Fußabdruck weiter verbessert. Es sind dann CO2-neutrale oder gar CO2-negative Produkte in Reichweite. Der durch die Infra-Leuna GmbH betriebene Chemiestandort zeichnet sich durch eine im Mix CO2-arme Dampferzeugung (Wärmerückgewinnung aus Chemieprozessen, Müllverbrennung) aus. Und diese wird weiter verbessert: So wurde in diesem Zusammenhang ein Gaskraftwerk geplant, das seine Leistung bedarfsabhängig schnell regulieren kann. Übergangslösungen dieser Art werden auch weiterhin benötigt, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und sind zudem die Basis für neue Investitionen. Gleichzeitig müssen aber auch Technologien wie grüner Wasserstoff (z.B. von Linde AG) oder aber Möglichkeiten zur Energiespeicherung von temporär verfügbarer Solar- oder Windenergie zunehmend Berücksichtigung finden.“
2. Was versteht UPM unter Nachhaltigkeit?
„Nachhaltigkeit liegt in unserer DNA und bedeutet für UPM deutlich mehr als Klimaschutz und die Einsparung von CO2. Nachdem das Unternehmen weltweit etwa 1 Mio. ha Wald bewirtschaftet (Finnland, Uruguay, USA) und Holz der Ausgangsstoff für zahlreiche Prozesse ist, legt der Konzern ein vermehrtes Augenmerk darauf, dass in den Wäldern nicht nur die Biodiversität erhöht wird und die Altersstruktur bestehen bleiben, sondern die Wälder selbst auch auf lange Zeit gesund, klimastabil und nutzbar bleiben (FSC/PEFC Zertifizierung). Dafür ist es auch wichtig, sich an Vorgaben wie den Code of Conduct, das Lieferkettengesetz, den Code of Suppliers (zum Beispiel Verbot von Kinderarbeit in den Lieferketten) zu halten. UPM hat bereits zahlreiche Auszeichnungen im Themenbereich Nachhaltigkeit gewonnen und unterstützt bekannte Vorhaben, wie das im Pariser Klimaabkommen festgeschriebene Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, oder die 17 UN Global Compact Sustainable Development Goals (SDGs) zu erreichen sowie bis 2040 CO2-neutral zu wirtschaften. Aber es geht nicht nur um die Vermeidung von Treibhausgasen. Wir haben aus den 17 SDGs die Ziele ermittelt, bei denen unsere negativen Auswirkungen am stärksten sind, und die Ziele, bei denen wir den stärksten positiven Beitrag leisten können. Dies sind die sechs folgenden: Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen, Ziel 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur, Ziel 12: Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion, Ziel 13: Maßnahmen zum Klimaschutz, Ziel 15: Leben an Land. Weitere SDGs sind für uns ebenfalls relevant, haben jedoch einen niedrigeren Stellenwert oder betreffen uns nur indirekt. Zusätzlich beteiligen wir uns an internationalen Projekten wie dem UN Global Compact LEAD und arbeiten mit verschiedenen Expertenorganisationen zusammen, um für die SDGs zu werben und sie umzusetzen.
UPM betreibt große Industrieprozesse zur Verarbeitung von Biomasse und hinterlässt dadurch naturgemäß einen umweltrelevanten Fußabdruck – neben CO2-Emissionen beispielsweise auch Wassernutzung. Die aktuellen Auswirkungen, jeweilige Reduktionsziele und den Fortschritt zu deren Erreichung veröffentlichen wir regelmäßig im Jahresbericht. Wir müssen immer daran denken: Nachhaltigkeit besteht aus drei Dimensionen: ökologisch, ökonomisch und sozial. Ohne eine der drei kann es langfristig nicht funktionieren.“
3. Welche Bedeutung hat der Wald, die Forstwirtschaft, aber auch die Landwirtschaft für die Bioökonomie und die Nachhaltigkeit?
„In der zukünftigen post-fossilen Ära sind lediglich drei Hauptkohlenstoffquellen für die stoffliche Nutzung denkbar: Biomasse, Altmaterialien und CO2 – keine davon allein kann den gesamten Kohlenstoffbedarf ersetzen. Hierfür ist ein intelligentes Zusammenspiel nötig, bei dem nachhaltige Forst- und Landwirtschaft eine wichtige Rolle bei dem Ersatz von fossilem Kohlenstoff, beispielsweise in Plastik, spielen. Recycling von Altmaterialien ist ein weiteres Standbein mit großem Potential. Dabei treten immer Verluste auf, werden diese durch nachhaltig hergestellte Materialien ersetzt, käme man zu einer perfekten nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
Das Umdenken auf nachhaltiges Wachstum wird auch zunehmend von der Gesellschaft gefordert. Nichtsdestotrotz benötigen diese Umstellungsprozesse viel Zeit – daher bleibt intensive Forschung und Entwicklung auch zukünftig wichtig und muss sogar weiter ausgebaut werden, beispielsweise für die Nutzung des Kohlenstoffes aus CO2. Zusätzlich muss verhindert werden, dass herkömmlich hergestellte Kunststoffe wissentlich in die Umwelt gelangen, wie z.B. im Falle von Mulchfolien oder Trimmerfäden. Für diese Anwendungen sollte bereits zeitnah auf nachhaltige, bioabbaubare Materialien gesetzt werden.“
4. Was braucht Deutschland für eine nachhaltige Ökonomie, die umweltschonend ist, sich aber nicht gegen unsere Wettbewerbsfähigkeit richtet?
„Die Prozesse der UPM Bioraffinerie und insbesondere deren Kombination sind neu. Zur Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit muss man nicht nur die Produktionskosten allein betrachten, z.B. im Vergleich mit der MEG-Produktion auf der Basis von Naphtha, sondern berücksichtigen, dass das Bio-MEG zwar chemisch gleich, aber im CO2-Fußabdruck deutlich vorteilhafter ist. UPM investiert 550 Mio. EUR in die neue Bioraffinerie, denn wir sind davon überzeugt, dass wir, insbesondere sobald die Anlage ausgelastet ist, sehr profitabel wirtschaften werden. Das überwältigende Interesse von potentiellen Kunden an allen Produkten der UPM Bioraffinerie in Leuna bestätigt unsere Annahmen bisher.
In Zukunft wird es immer wichtiger werden, CO2 zu bepreisen, um Anreize zu schaffen, ökologischer und nachhaltiger zu wirtschaften. Um einen Wettbewerbsnachteil gegenüber in anderen Regionen unter klimaschädlichen Bedingungen hergestellten Waren auszugleichen, muss eine sogenannte Carbon Border Tax eingeführt werden.
Die in der Leuna-Bioraffinerie entstehenden Glykole haben die gleichen physikalischen Eigenschaften wie die herkömmlichen Produkte (Drop-ins), werden aber nicht auf herkömmliche Weise produziert. Die aus Lignin hergestellten erneuerbaren, funktionellen Füllstoffe weisen andere, größtenteils bessere Eigenschaften im Vergleich zu fossilen Füllstoffen (hier: Industrieruß, Silikat) aus; so z.B. eine deutliche verringerte Dichte oder, dass sie elektrisch nichtleitend sind, was beides kritische Vorteile bei der Verwendung in Gummiprodukten (z. B.s Dichtungsbänder) sind. Zudem weisen sie einen nicht gekannten niedrigen CO2-Fußabdruck auf – letztlich alles Werte, die auch bezahlt werden.
Wenn man biobasierte Produkte herstellen will, muss auch die Herkunft der Biomasse dauerhaft aufrechterhalten werden. Daher ist es für UPM selbstverständlich, ausschließlich Holz aus Wäldern zu beschaffen, welche nachhaltig bewirtschaftet und somit langfristig erhalten werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie auch noch in 50 und mehr Jahren Rohstoffe zur Verfügung stellen. Und nur dann ist eine solche Investition, wie wir sie in Leuna tätigen, sinnvoll. Nachhaltige Forstwirtschaft ist daher ein wichtiges Segment für die Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Zusammenhang sollten auch vermehrt steuerliche Anreize geschaffen werden, um die Holzvorräte aus privaten Wäldern (zweistelliger Prozentbereich in Deutschland) zu mobilisieren. Für den privaten Kleinwaldbesitzer lohnt sich die Holzernte aktuell schlussendlich nicht.“
5. Wie wird der Nachhaltigkeits- und der Kreislaufgedanke in der neuen Bioraffinerie in Leuna umgesetzt?
„In der neuen Bioraffinerie in Leuna wird Wert daraufgelegt, dass einerseits die Rohstoffquellen, hier vornehmlich Misch- und Laubwälder, nachhaltig bewirtschaftet werden. Zudem berechnen wir den CO2-Fußabruck und lassen diese Werte extern auditieren. So können wir klar zeigen, dass unsere Produkte einen Vorteil gegenüber traditionellen fossilen besitzen und damit unseren Kunden helfen, deren Nachhaltigkeitsziele schwerpunktmäßig für mehr Klimaschutz zu erreichen. Fast sämtliche Markenartikler haben sehr ambitionierte Ziele zur Klimaneutralität für das kommende Jahrzehnt versprochen und stellen das als eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für ihren zukünftigen Geschäftserfolg dar.
Der Kreislaufgedanke wird insofern umgesetzt, dass das produzierte Glykol vor allem in Polyestern Anwendung findet. Polyesterprodukte lassen sich auf verschiedenste Weise (mechanisch, chemisch und enzymatisch) recyceln. Vor allem im Bereich der PET-Flaschen hat Deutschland mit einer Sammelquote von 94% bereits ein hohes Niveau erreicht. Der geringe Verlust könnte dann über biobasierte nachhaltig hergestellte Materialien aus der Bioraffinerie ersetzt werden.
6. Wie fügt sich das Werk in Leuna in die bestehende Geschäftsstruktur von UPM ein? Was macht die weltweite Einzigartigkeit der Bioraffinerie in Leuna aus? Was waren bislang die größten Hürden bei der Standortwahl und dem Bau?
„UPM besteht mittlerweile aus sechs Geschäftsfeldern: Druckpapier, Zellstoff, Selbstklebende Etiketten, Spezialpapier, Energieerzeugung und ‑handel sowie Sperrholz. UPM besetzt in vielen Feldern führende Positionen z. B. im Bereich Magazinpapier, Sperrholz oder Etiketten. Ausgehend vom makroskalischen Holz über die mikroskalischen Zellulosefasern, hat sich UPM im Laufe der Zeit auf die Molekülebene vorgearbeitet und ist nun auch im Bereich biobasierter Kraftstoffe und Chemikalien aktiv.
Die Einzigartigkeit der Bioraffinerie liegt nicht nur darin, dass hier Chemikalien aus Holz produziert werden, sondern vielmehr darin, dass alle Holzbestandteile stofflich genutzt werden. So wird aus Zellulose über Zucker Glykol produziert, Hemicellulose zu Industriezucker und das Lignin zu Füllstoffen verarbeitet. Damit handelt es sich um die erste voll integrierte holzbasierte Bioraffinerie weltweit, die einen einzigen Biorohstoff zerlegt und komplett stofflich nutzt.
Wichtige Kriterien bei der Standortwahl waren die Verfügbarkeit von ausreichend Platz (25 Hektar) und vorhandener Infrastruktur an einem bestehenden Chemiestandort. Darüber hinaus war es enorm wichtig die Bioraffinerie in der Nähe nachhaltig bewirtschafteter Laubholzwälder zu errichten. Dies ist in Leuna durch die Wälder in Ostdeutschland, Hessen, Bayern und Tschechien gegeben. Für den An- und Abtransport spielt zudem auch die Logistik eine große Rolle – die Leunawerke bieten mit der Schienenanbindung hier eine optimale Versorgung. Auch die Rahmenbedingungen bei der Anpassung der vorhandenen Infrastruktur waren äußerst flexibel und die Kapazitäten im Bereich von Energien (Dampf, elektrischer Strom) und Wasser(Prozess‑, Kühlwasser, Abwasserbehandlung) vorhanden und sehr wettbewerbsfähig. Die Region hat eine langjährige Geschichte im Bereich Chemieindustrie und verfügt über ein gutes Ausbildungsnetzwerk, mit renommierten Universitäten und Hochschulen in den Bereichen Naturwissenschaften, Chemieingenieurwesen und –verfahrenstechnik, aber auch für die Ausbildung der Berufsfelder in der Produktion. Der Arbeitsmarkt ist zwar angespannt, aber die meisten freien Positionen lassen sich nichtsdestotrotz durch den Umfang und die Reichweite des Projekts zeitnah adäquat besetzen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele neue Mitarbeiter sich ganz bewusst für UPM entschieden haben, um den Aufbau einer zukunftsorientierten nachhaltigen Chemieproduktion zu begleiten.“
7. Was verspricht sich UPM von der Teilnahme am ISEF (International Sustainable Economy Forum)? Wie können große Firmen wie UPM am meisten von einer solchen Veranstaltung profitieren?
„Von der Teilnahme am ISEF verspricht sich UPM eine hohe Unternehmensdichte, denen nachhaltiges Wirtschaften am Herzen liegt. Bioökonomie bedeutet auch, Brücken zu schlagen zwischen verschiedenen Industriesektoren, so z.B. zwischen der Forst‑, Chemie- und Getränkeindustrie – dafür ist eine Veranstaltung wie das ISEF enorm wichtig. Darüber hinaus wissen nach wie vor viel zu wenige Akteure, was Bioökonomie wirklich ist. Damit Akteure aus allen Bereichen für die Bioökonomie begeistert werden können, ist eine pragmatische und lösungsorientierte Vermittlung von Innovationen und Technologien wichtig. Das ISEF soll dazu beitragen, kreative Lösungen zu finden, wie man Bioökonomie – und zwar nicht nur durch finanzielle Mittel – fördern kann.“