In aller Stille vollzieht sich in der Industrie derzeit ein tiefgreifender Wandel. Die Umstellung von chemischen auf biologische Prozesse soll erdölabhängige Verfahren zunehmend ersetzen und die Produktion umweltschonender machen. Noch ist das schwarze Gold unverzichtbar: Allein an den 15 deutschen Raffinieriestandorten können jedes Jahr etwa 120 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet werden. Egal ob Benzin für das Auto, Textilfaser im Pullover, Grundstoff in der Kopfschmerztablette oder Plastikbecher für Joghurt, viele Alltagsprodukte wären ohne den Ausgangsstoff Erdöl nicht herzustellen.
Konzept Bioökonomie auf der politischen Agenda
Doch das soll sich ändern. Bereits 2004 verkündete die Europäische Kommission ihre Strategie, um aus der petrochemischen Industrie eine wissensbasierte Bioökonomie zu formen. Offenbar mit Erfolg: Im Februar 2012 berichtete die EU-Kommission, dass die EU-Bioökonomie inzwischen Umsätze von zwei Trillionen Euro erzielt und mehr als 22 Millionen Mitarbeiter beschäftigt. Deutschland spielt eine Vorreiterrolle, sie brachte 2010 die „Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ auf den Weg. Damit sollen entscheidende Weichen gestellt werden, um eine „nachhaltige, bio-basierte Wirtschaft, die sich am natürlichen Stoffkreislauf orientiert“ aufzubauen. In dem zunächst auf sechs Jahre angelegten Programm stellen vier Bundesministerien insgesamt 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung, wobei das BMBF mit zwei Dritteln den Löwenanteil trägt. Das Projekt findet inzwischen überall in Europa und der Welt Nachahmer: Dänemark, Finnland, Irland und die Niederlande haben inzwischen eigene Strategiepläne ausgearbeitet. Anfang April stellte US-Präsident Barack Obama die „National Bioeconomy Blueprint“ vor, mit der die Vereinigten Staaten die Abkehr vom Öl forcieren wollen.
Zum Beispiel Biokunststoffe
Erste Beispiele wie das gelingen kann, gibt es bereits. So hat beispielsweise in den vergangenen Jahren der Einsatz von Bioplastik immer weiter zugenommen. Statt Erdöl sind nachwachsende Rohstoffe die Grundsubstanz für die grünen Becher und Flaschen, beispielsweise Polyethylen aus Zuckerrohr, Polymilchsäure aus Mais. Dass die sogenannten „biogenen“ Produkte ihren konventionellen Pendants nicht nur gleichwertig sondern sogar überlegen sind, zeigt sich bei Windkrafträdern. Für den Offshore-Einsatz im Meer könnten künftig Bioschmierstoffe zum Einsatz kommen.
Biotechnologie als wesentlicher Impulsgeber
Die Biotechnologie liefert auf dem Weg zur Bioökonomie wesentliche Impulse. Das aufstrebende Forschungsfeld der Synthetischen Biologie bedient sie sich beispielsweise typischer Methoden der Ingenieurskunst, um mit standardisierten Bausteinen molekulare Schaltkreise zusammenzubauen. So entstehen Zellen mit ganz neuen und nützlichen Eigenschaften. Das BMBF möchte durch adäquate Förderung den Weg hin zum biobasierten Wirtschaften unterstützen. Doch wie soll die Forschungsförderung künftig organisiert werden? Welche Potentiale schlummern noch in Bakterien und Zelllinien, die sich für eine maßgeschneiderte Produktion von Inhaltstoffen heben lassen? Und wie lässt sich die Entwicklung von bioökonomischen Wertschöpfungsketten möglichst effizient vorantreiben? Solche Fragen will der Projektträger Jülich, der viele der vom BMBF geförderten Biotechnologie-Projekte administriert und betreut, nun zusammen mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft diskutieren. Im Workshop „Maßgeschneiderte biogene Inhaltstoffe für eine biobasierte Wirtschaft“ soll die künftige inhaltliche und organisatorische Ausrichtung zukünftiger Forschung in diesem Themenbereich ausgelotet werden. Vom 2. bis 3. Juli ist die Zusammenkunft von bis zu 70 Fachleuten im Kongresshotel Potsdam am Templiner See geplant. Neben Impulsvorträgen, in denen der aktuelle Stand der Technik und zukünftige Perspektiven für maßgeschneiderte biogene Inhaltstoffe vorgestellt werden, ist auch ein „Marktplatz der Ideen“ geplant, wo jeder Workshop-Teilnehmer seine Vorstellungen in einem Kurzbeitrag vorstellen kann. Der Workshop ist kostenfrei und richtet sich insbesondere auch an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Anmeldeschluss ist der 1. Juni 2012). Weitere Informationen gibt es unter http://www.ptj.de/biooekonomie Quelle: biotechnologie.de/bk