LOEWE-Zentrum „Insektenbiotechnologie“ am Standort Gießen
29.11.2013
„Von Insekten lernen, heißt siegen lernen.“ – Die Entwicklung neuer Wirkstoffe, Produkte und Dienstleistungen basierend auf durch Insekten gewonnenen Erkenntnissen gilt international als innovatives Forschungsgebiet mit enormen Wachstumsprognosen. Das hat man an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) früh erkannt und mit einem LOEWE-Schwerpunkt Insektenbiotechnologie deutschland- und europaweit die erste operative Einheit zur Entwicklung von innovativen Schlüsseltechnologien auf dem Gebiet der „gelben Biotechnologie“ geschaffen. Das Land Hessen fördert in einer ersten dreijährigen Förderperiode von 2014 bis 2016 das neue LOEWE-Zentrum für Insektenbiotechnologie an der JLU mit 17,7 Millionen Euro für das wissenschaftliche Forschungsprogramm; eine zweite Förderperiode mit einem vergleichbaren Volumen ist im Anschluss vorgesehen. Außerdem stellen das Land Hessen und der Bund insgesamt 30 Millionen Euro für den Neubau eines Forschungsgebäudes zur Verfügung. Beteiligt sind an dem LOEWE-Zentrum „Insektenbiotechnologie“ neben der JLU (Federführung) die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) und das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie, Aachen (IME). Die Gesamtleitung des LOEWE-Zentrums liegt bei dem Gießener Entomologen Prof. Dr. Andreas Vilcinskas (JLU, zugleich Leiter der Fraunhofer-Projektgruppe „Bioressourcen“), als Ko-Koordinatoren fungieren Prof. Dr. Peter Czermak (THM/JLU) und Prof. Dr. Holger Zorn (JLU), die Fraunhofer-seitige Verantwortung liegt bei Prof. Dr. Rainer Fischer (IME). Schon heute ist mit der wegweisenden Entscheidung aus Wiesbaden sicher: Am Standort Gießen entsteht ein neuer wissenschaftlicher Leuchtturm für Insektenbiotechnologie. Das erklärte Ziel aller am LOEWE-Zentrum beteiligten Einrichtungen ist auf dieser Grundlage der Aufbau einer dauerhaften Fraunhofer-Einrichtung für Bioressourcen in Mittelhessen; es wäre die erste außeruniversitäre Forschungseinrichtung mit Sitz in Gießen.
Ausbau und Erweiterung bisheriger Schwerpunkte
Mit dem LOEWE-Zentrum für Insektenbiotechnologie in Gießen soll die bislang im LOEWE-Schwerpunkt erfolgreich etablierte Fraunhofer-Projektgruppe „Bioressourcen“ ausgebaut und in eine eigenständige dauerhafte Fraunhofer-Einrichtung für Bioressourcen überführt werden, die mit der JLU und der THM eng kooperiert. In diesem sollen das Forschungs- und Dienstleistungsangebot über die Insektenbiotechnologie hinaus erweitert werden, damit zusätzlich zu den etablierten Fraunhofer-Instituten eine neue, tragfähige Einrichtung entstehen kann. Aus diesem Grund werden bereits im LOEWE-Zentrum Geschäftsfelder aufgebaut, die mit dem Forschungsgebiet Insektenbiotechnologie eng verbunden sind, zum Beispiel Naturstoff- oder Biodiversitätsforschung. Mit dem Neubau eines Forschungsgebäudes am Leihgesterner Weg, das Sitz des LOEWE-Zentrums für Insektenbiotechnologie und der neuen Fraunhofer-Einrichtung werden soll, wird nach dem bisherigen Stand der Planungen im Jahr 2015 begonnen; mit der Fertigstellung ist voraussichtlich im Jahr 2017 zu rechnen.
Wissenschaftliche Arbeit am LOEWE-Zentrum für Insektenbiotechnologie
„Die Erschließung von Insekten als neue Ressourcen für Produkte mit Anwendungen in Medizin, Pflanzenschutz und Industrieller Biotechnologie steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten im neuen LOEWE-Zentrum“, erläutert der wissenschaftliche Koordinator und Leiter des neuen LOEWE-Zentrums, Prof. Dr. Andreas Vilcinskas. Er ist überzeugt: „Die Insekten gelten als die erfolgreichste Tier- oder Organismengruppe auf der Erde. Diese Biodiversität, die man auf der Artenebene sieht, spiegelt sich auch auf der Molekülebene wider. Das heißt: Insekten sind ein riesengroßer Wirkstoffschrank, und es geht uns darum, darin gezielt neue Wirkstoffe zu entdecken und für die Menschheit nutzbar zu machen.“ Die Insektenbiotechnologie ist eine noch junge Disziplin, von der wesentliche wissenschaftliche Impulse ausgehen. Kernpublikationen des Fachgebietes stammen von Gießener Wissenschaftlern, vor allem von Prof. Dr. Vilcinskas und seinem Team. Diese jüngsten Entwicklungen haben zu einer weltweiten Bekanntheit des Standortes Gießen beigetragen, was nicht nur die Rekrutierung weiterer Experten auf diesem Fachgebiet sehr erleichtert, sondern auch Nachwuchsgruppen an die JLU gezogen hat, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über das Emmy-Noether-Programm, der VW-Stiftung und dem Fraunhofer Attract-Programm finanziert werden. Die Insektenbiotechnologie widmet sich der Entwicklung von Schnittstellentechnologien und der Anwendung neuer Wirkstoffe aus Insekten beispielsweise für therapeutische oder diagnostische Zwecke. Da dieses Potenzial erst seit wenigen Jahren systematisch erschlossen und genutzt wird, bietet die Zusammenarbeit des Fraunhofer IME, der JLU und der THM für alle Seiten große Entwicklungs- und Profilierungschancen. Neben den Möglichkeiten auf dem Gebiet der Human- und der Tiermedizin wird auch mit erheblichen Potenzialen auf dem Agrar- und Ernährungssektor gerechnet. So sollen neuartige Enzyme und Aromastoffe aus Insekten für die Lebensmittelindustrie nutzbar gemacht werden. Weiterhin werden in Gießen neuartige Methoden für die umweltschonende Bekämpfung von Insektenarten entwickelt, die entweder große wirtschaftliche Schäden in der Landwirtschaft verursachen oder Krankheiten wie zum Beispiel Malaria übertragen. Aufgrund des enormen innovativen und ökonomischen Potenzials zieht das LOEWE-Zentrum auch Industriepartner an, die sich finanziell an den Forschungen beteiligen und damit zur Schaffung hochqualifizierter Arbeitsplätze beitragen werden. Obwohl durch rasante Fortschritte in den Bereichen der instrumentellen Analytik sowie der Proteom- und Genomforschung wichtige technische Voraussetzungen geschaffen wurden, sind fundierte Kenntnisse über die Systematik, Evolutionsbiologie und Ökologie der Insekten die Grundlage der Insektenbiotechnologie. Nach der wissensbasierten Auswahl von Insektenarten, die aufgrund ihrer Lebensweise über die gesuchten Zielmoleküle (zum Beispiel antimikrobiell wirksame Substanzen) verfügen sollten, können anwendungsrelevante Moleküle mit Hilfe hochempfindlicher massenspektrometrischer Verfahren oder mit modernen Sequenziertechniken identifiziert werden. Durch die Kultivierung von Insektenzellen in Fermentern können zum Beispiel Enzyme aus Insekten im großen Maßstab hergestellt und für industrielle Anwendungen genutzt werden. Weitere Informationen unter www.insekten-biotechnologie.de. [gekürzt] Quelle: idw