Über zwei Milliarden Menschen weltweit leiden an Mikronährstoffmangel durch unzureichende Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen. Arme Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern sind besonders betroffen, weil sie sich häufig überwiegend von Grundnahrungsmitteln ernähren, die zwar viele Kalorien, aber nur wenig Mikronährstoffe enthalten. In einem neuen Übersichtsartikel zeigt ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen, wie Gentechnik helfen kann, den Mikronährstoffmangel nachhaltig zu bekämpfen. Der Artikel wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Mikronährstoffmangel führt oft zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen. Defizite an Vitamin A und Zink gehören zum Beispiel zu den wichtigsten Risikofaktoren für Kindersterblichkeit, während eine Unterversorgung mit Eisen und Folsäure Anämie sowie körperliche und geistige Entwicklungsstörungen nach sich ziehen kann. Oft wissen die betroffenen Menschen nicht, dass die Gesundheitsprobleme auf Mikronährstoffmangel zurückzuführen sind, weswegen teilweise auch von „verstecktem Hunger“ gesprochen wird. Langfristiges Ziel muss es sein, dass alle Menschen über ein ausreichendes Wissen und genügend Einkommen verfügen, um sich ganzjährig ausgewogen ernähren zu können. Kurz- und mittelfristig sind jedoch auch gezieltere Maßnahmen erforderlich. Eine Maßnahme ist die so genannte Biofortifikation, also die Züchtung von Grundnahrungsmittelpflanzen auf höhere Mikronährstoffgehalte, die Kleinbauern dann selbst anpflanzen und weitervermehren können. In den vergangenen 20 Jahren haben internationale Agrarforschungszentren verschiedene biofortifizierte Pflanzen mit konventionellen Züchtungsmethoden entwickelt, unter anderem Mais und Süßkartoffeln mit Vitamin A oder Reis mit höherem Zinkgehalt. Diese Pflanzen werden inzwischen in zahlreichen Entwicklungsländern angebaut, mit nachgewiesenen Vorteilen für Ernährung und Gesundheit. Allerdings haben konventionelle Züchtungsmethoden gewisse Grenzen. Im Artikel erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Gentechnik helfen kann, Effektivität und Nutzen biofortifizierter Pflanzen noch weiter zu steigern. „Mit gentechnischen Ansätzen können deutlich höhere Mikronährstoffgehalte in den Pflanzen erreicht werden als mit konventionellen Züchtungsmethoden allein. Wir haben dies bereits für Folsäure in Reis und Kartoffeln gezeigt,“ sagt Erstautorin Prof. Dr. Dominique Van Der Straeten von der Universität Gent. „Außerdem ist es uns gelungen, die Vitaminverluste nach der Ernte erheblich zu senken.“ Ein weiterer Vorteil der Gentechnik ist, dass hohe Gehalte verschiedener Mikronährstoffe in der gleichen Pflanzensorte miteinander kombiniert werden können. „Das ist wichtig, weil arme Menschen häufig unter verschiedenen Nährstoffdefiziten gleichzeitig leiden“, sagt Koautor Dr. Howarth Bouis vom International Food Policy Research Institute. Die Gentechnik erleichtert es zudem, hohe Mikronährstoffgehalte in der Pflanze mit neuen agronomisch relevanten Eigenschaften zu kombinieren, wie etwa Dürre- oder Schädlingstoleranz, die vor dem Hintergrund des Klimawandels immer wichtiger werden. „Bauern sollten sich nicht entscheiden müssen, ob sie Sorten anbauen, die entweder nährstoffreich sind oder stabile Erträge liefern. Beide Aspekte in den gleichen Sorten zu kombinieren ist wichtig und kann mit zu einer weiten Verbreitung gerade im Kleinbauernsektor beitragen“, sagt Koautor Prof. Dr. Matin Qaim von der Universität Göttingen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich bewusst, dass viele Menschen Gentechnik mit Skepsis betrachten, obwohl die so entwickelten Pflanzen sicher für Umwelt und menschliche Gesundheit sind. Einer der Gründe für die ablehnende Haltung ist aber auch der, dass Gentechnik häufig mit großen Agrarkonzernen assoziiert wird. „Biofortifizierte Pflanzen könnten dabei helfen, die Akzeptanz zu steigern, weil diese Pflanzen speziell zum Wohle armer Bevölkerungsgruppen entwickelt werden“, so die Autorinnen und Autoren. „Hierfür sind öffentliche Finanzierung und Unterstützung besonders wichtig.“ Quelle: Universität Göttingen, Pressemitteilung, 15.10.2020