Die große Hoffnung Bioökonomie / Nur mit einer systemischen Sichtweise lassen sich die Potenziale nutzen
09.09.2020
Das Fahrrad aus Bambus statt aus Stahl, das T‑Shirt aus Milchproteinen statt aus Polyester, der Turnschuh aus Kork statt aus Plastik, der Fahrradhelm aus Pilzen statt aus Styropor: Die Bioökonomie hat viele neue Produkte hervorgebracht. Aber es sind Nischenprodukte, die nur wenigen bekannt sind. Und dennoch: Sie sind die ersten sichtbaren Ergebnisse vieler kleiner Veränderungen. Sie deuten an, wie sich unsere bisherige Wirtschafts- und Lebensweise ändern könnte und sie sind vor allem Hoffnungsträger: Nachhaltigkeit ist ohne Konsumverzicht möglich und eröffnet neue Möglichkeiten des Komforts. Eine Transformation in ein neues Wirtschaftssystem kann gelingen. Doch stimmt das? Was und wer steckt hinter diesen Produktinnovationen? Wie werden sie ermöglicht? Und: Löst die Bioökonomie zentrale Zukunftsfragen? „Innovationen sind natürlich die sichtbarsten Vertreter von Transformationen, aber dadurch lassen sich die Transformationen, die die Innovation hervorgebracht haben, noch nicht verstehen. Das ist nur durch eine systemische Betrachtung möglich“, sagt Prof. Daniela Thrän, Leiterin des Departments Bioenergie am UFZ und Herausgeberin des Buches. Unter einer systemischen Betrachtung verstehen die Autorinnen und Autoren des Buchs vor allem das Zusammenspiel von Wirtschaftsprozessen, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Anwendungen, rechtlichen Rahmenbedingungen, gesellschaftlichen Ansprüchen sowie die Nutzung ökologischer Ressourcen. „Die systemische Perspektive zeigt auf, wie all diese Ebenen zusammenhängen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und welche Dynamiken dort bestehen“, erklärt Daniela Thrän. „So lassen sich – über einzelne Innovationsbeispiele hinaus – die Potenziale von Transformationen verstehen und einschätzen.“ Entsprechend beleuchten die Autorinnen und Autoren – Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft – in dem Buch verschiedene Teilbereiche der Bioökonomie und setzen sie miteinander in Bezug. Ausgangspunkt ist dabei die Beschreibung bioökonomietypischer Ressourcen wie Pflanzen, Holz, Mikroorganismen, aquatische und tierische Biomasse sowie von Daten und Informationen. Entlang dieser Ressourcen haben sich Branchen entwickelt, Prozesse und Verfahren etabliert und Akteure eingefunden. Sie werden anhand von Beschreibungen und Portraits konkreter Personen, Netzwerke und Cluster vorgestellt. Darüber hinaus erfolgt eine Beschreibung der Handlungsrahmen, in denen sich die Bioökonomie entwickelt – also Innovationsverständnisse, nationale und internationale Governance, Szenarien und Modelle, Monitoringaktivitäten, Berufsfelder oder Bioökonomie-Diskurse. „Die systemische Sichtweise macht Strukturen deutlich, sodass sich alle jetzigen und künftigen Akteurinnen und Akteure der Bioökonomie neu über ihre Bedeutung, Relevanz und Möglichkeiten verständigen können“, betont der Co-Herausgeber Urs Moesenfechtel. Damit lasse sich Bioökonomie nicht nur besser verstehen, sondern auch besser gestalten. „Und es lässt sich besser abschätzen, ob die Bioökonomie zur Lösung unserer drängenden Zukunftsfragen beiträgt. Schließlich ist es nicht allein entscheidend, ob sich einzelne Produkte verändern, sondern ob, wie und mit welchen Folgen sich Systeme verändern“, sagt er. Dr. Christian Patermann, Wegbereiter der Bioökonomie in Europa, ergänzt: „Das Buch ist nicht nur eine prägnante Gesamtschau auf den Status quo der Bioökonomie, sondern vor allem auf ihre zukünftigen Entwicklungen – in Deutschland und darüber hinaus. Das gilt besonders für die Herausforderungen in der Zeit nach Covid19.“ Quelle: UFZ/idw, Pressemitteilung, 09.09.2020