Datenmengen mit Potential für die Naturwissenschaften
16.10.2013
Bioinformatiker nutzen den Schatz, den andere Wissenschaftler in öffentlichen Datenbanken ablegen und machen bahnbrechende Entdeckungen, ohne jemals selbst ein Labor zu betreten. Statt in der Erde zu buddeln, wühlen sie sich durch Gensequenzen und Transkript‑, Protein- oder Metabolitenprofile, die von den experimentellen Biologen en masse produziert werden. In riesigen Tabellen suchen sie nach Auffälligkeiten in Zahlenkolonnen und Ausreißern aus der Statistik, sie programmieren und evaluieren. „Auch wir haben Hypothesen, die wir anhand von Daten überprüfen. Der einzige Unterschied ist, dass wir die Daten nicht selber messen“, erklärt Dirk Walther, der am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie die Arbeitsgruppe Bioinformatik leitet. Das einzige Limit ist manchmal die Leistung der Computer. Deswegen setzen Forscher auch hier auf die Kraft der Masse. Sie rekrutieren Freiwillige, die ihre ungenutzte Rechenpower für die Suche nach Leben im All (Seti@home) oder der richtigen Faltung von Proteinen zur Verfügung stellen (Fold@home). Manchmal verpacken sie komplizierte Probleme auch in Computerspiele, damit der Spaßfaktor gesteigert wird und sich möglichst viele an der Lösung beteiligen. Ein Beispiel dafür ist foldit, wo jeder selbst daran arbeiten kann, Proteine in ihre richtige Form zu bringen. Obwohl Arbeit hier vielleicht das falsche Wort ist. Bioinformatiker nutzen Daten über Genexpression, Transkriptionslevel und Proteingehalte um neue Erkenntnisse über biologische Prozesse zu gewinnen. Ein Labor brauchen sie dazu nicht, denn sie messen die Daten selten selbst.
Viele Daten sind frei zugänglich und jeder kann sich an ihnen ausprobieren
Analysegeräte, die heute in jeder Universität und jedem Forschungsinstitut zur Standardausstattung gehören, können in einer einzigen Probe den Gehalt von tausenden Transkripten und Proteinen und immerhin noch hunderten Metaboliten gleichzeitig messen. Es werden mehr Daten produziert, als mit der heutigen Technologie ausgewertet werden können. Doch die Bioinformatik holt auf. „Fortschritte im Hochleistungsrechnen sowie numerische Algorithmen haben computerintensive Simulationen von komplexen mathematischen Modellen sowie die Bearbeitung von Milliarden oder sogar Billionen Datenpunkten ermöglicht und sogar zur Routine gemacht“, schreiben die Biologen Steve Long und Mark Stitt in der Fachzeitschrift „Plant, Cell and Environment“. Aber Algorithmen schreiben sich nicht von alleine und hinter jedem mathematischen Modell sitzt ein schlauer Kopf, der es erdacht hat. Die Bioinformatiker suchen deshalb händeringend Nachwuchs, egal ob dieser aus der heimischen „Garage“ oder einer Elite-Uni kommen.
Ein wenig Statistik im Grundstudium reicht nicht mehr
In Deutschland bieten inzwischen zwölf Hochschulen den Studiengang „Bioinformatik“ an, daneben gibt es zahlreiche verwandte Angebote wie „Bioinformatik und Genomforschung“ oder „Bioinformatik und Systembiologie“. Einer der Vorreiter war die Freie Universität Berlin, die im November 2000 als einen Bachelor- und Masterstudiengang Bioinformatik eingerichtet hat. „Die Freie Universität hat damit auf den zunehmenden Bedarf an interdisziplinär arbeitenden Spezialisten für Biotechnologie reagiert“, heißt es in der Pressemitteilung dazu. Diese interdisziplinär arbeitenden Spezialisten müssen sich hauptsächlich für Informatik und Mathematik interessieren. Doch während diese Fähigkeiten in der Physik schon lange als wichtiges Grundlagenwissen galten, wurden sie in der Biologie oft nur stiefmütterlich behandelt. Etwas Mathematik im Grundstudium, gerade genug um statistische Signifikanz zu berechnen, das reicht heute nicht mehr. Wer als Biologe mithalten will, der muss sich in Zukunft auch mit mathematischer Modellierung auskennen. Wissenschaftler mit dieser Ausbildung werden vermutlich einige der wichtigsten zukünftigen Entdeckungen machen. [gekürzt] Quelle: pflanzenforschung.de