Im Fokus: Mikroorganismen. Mikrobielle Gemeinschaften, die in der Lage sind, CO2 zur Energiegewinnung oder zur Herstellung industrieller Roh- und Ausgangsstoffe zu nutzen. Schon heute verrichten sie in vielen Demonstrations- und Pilotanlagen in der ganzen Welt ihre Dienste. „Die Liste wächst und wächst. Die Menschen beginnen, zu realisieren, dass dieser Ansatz von großem Nutzen sein kann“, erklärt Jennifer Holmgren, Geschäftsführerin einer amerikanischen bio-CCU Firma. CCU statt CCS: Das in dem Zusammenhang häufig auftauchende Kürzel CCU steht für Carbon-Capture-Utilization (CO2 ‑Abscheidung und Verwendung) und kann als Weiterführung jenes Konzepts verstanden werden, dass in Fachkreisen als Carbon-Capture-Storage (CCS) (CO2 ‑Abscheidung und ‑Speicherung) bereits seit längerem bekannt ist.
Vorteile des biobasierten Ansatzes
„Im Vergleich zu konventionellen, rein chemisch basierten CCU-Konzepten, die meist nur unter Hochdruck und bei hohen Temperaturen funktionieren und daher kostenintensiv sind, sind bio-CCU Verfahren effizienter. Sie benötigen weniger Energie und Platz, rentieren sich daher schon im kleinen Maßstab. Sie lassen sich leichter in bestehende Strukturen integrieren bzw. an diese andocken“, fasst Holmgren zusammen. Ein entscheidender Vorteil ist zum Beispiel, dass auf die aufwendige und energieintensive CO2-Abtrennung verzichtet werden kann, die bei elektrokatalytischen oder thermochemischen Prozessen anfällt. Das kohlendioxidhaltige Rauchgas kann von den Kleinstlebewesen ohne Weiteres verarbeitet werden.
Rohöl auf Algenbasis
Ein Beispiel aus der Praxis ist die Gewinnung von erneuerbarem Rohöl auf Algenbasis, das für die Produktion von Kerosin, Diesel oder Benzin geeignet ist. Für die Herstellung des grünen Rohöls brauchen die pflanzenartigen, Photosynthese-betreibenden Lebewesen nicht mehr als Licht, ein paar Nährstoffe, Wasser und Kohlendioxid.
Ansatz zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen
Dr. Aldo Belloni, Vorstandsmitglied der Linde AG, die derzeit gemeinsam mit einem amerikanischen Unternehmen eine kommerzielle Demonstrationsanlage in New Mexico betreibt, macht deutlich, worum es dabei geht: „Die Produktion von Biokraftstoff aus Algen mittels CO2, das von Großemittenten wie Kraftwerken und Chemieanlagen stammt, ist ein vielversprechender Ansatz zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen”. Das Verfahren, mit dem beide Unternehmen ab 2018 in einer 300 Hektar großen Anlage 10.000 Barrel regeneratives Rohöl am Tag fördern und zugleich 56 Tonnen CO2 einsparen möchten, nennt sich Open-Pond (Offenes Becken) Kultivierung. Vor- und Nachteile des Open-Ponds-Verfahrens: Zwar lassen sich im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen die CO2-Emissionen um rund 70 % senken und relativ kostengünstig Anlagen auf Flächen errichten, die nicht landwirtschaftlich nutzbar sind, dennoch existieren Einschränkungen. So sind die Verkeimungsgefahr und der Wasserverbrauch höher, Zelldichte und somit auch die volumetrische Produktivität dagegen geringer als in geschlossenen Kreislaufsystemen. Hinzukommt, dass Ernte, Extraktion und Raffination beim Open-Pond Verfahren die bei der Kultivierung realisierten Einsparungen aufgrund ihres hohen Aufwands schmälern. Sprich, die Kosten letztlich wieder erhöhen. Doch wie lautet die Alternative, wenn angenommen werden kann, dass das algenbasierte Verfahren aufgrund zu geringer Flächen und niedriger Erträge unrentabel sein könnte?
Bieten Blaualgenfarmen die Lösung?
Ein anderer interessanter Lösungsansatz, der sich ebenfalls in Demonstrationsvorhaben bereits bewährt hat, besteht in der Verwendung anderer Organismen: Cyanobakterien. Durch das Einfügen von DNA-Sequenzen aus Zymomomas mobilis Bakterien in das Erbgut von Cyanobakterien der Gattung Synechococcus sind diese in der Lage, zwei neue Enzyme zu produzieren: pdc und adh. Diese wandeln Pyruvat, ein natürliches Produkt der bakteriellen Verstoffwechselung von Kohlendioxid, zuerst in Acetaldehyd und im nächsten Schritt zu Ethanol um. Die Produktionsrate sogenannter „Blaualgenfarmen“ beträgt fast 38.000 Liter Ethanol pro Hektar und Jahr. Also rund 10 Liter pro Quadratmeter, was dem Zehnfachen im Vergleich zur Ethanolgewinnung aus Mais entspricht.
Mit gerichteter Evolution zum Optimum
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis ist Clostridium autoethanogenum. Ein ebenfalls modifiziertes Bakterium, das ebenso in der Lage ist Ethanol zu produzieren. Anders als Synechococcus nicht nur aus Kohlendioxid, sondern auch aus Kohlenmonoxid (CO) oder Wasserstoff (H). Und das nicht mit Hilfe von fremdem Erbgut, sondern als Ergebnis gerichteter Evolution. Ein Ansatz, bei dem mittels zufallsbasierter Mutagenese und nachfolgender Selektion Nukleinsäuren, Proteine und Enzyme im Labor über mehrere Generationen hinweg optimiert werden. Ziel ist, ausschließlich jene Mutanten zu isolieren, die den spezifischen Wünschen und Anforderungen am ehesten entsprechen.
Potenzial für die Schwerindustrie
Auch hier sind bereits Demonstrationsanlagen in Betrieb, in denen speziell trainierte Clostridium autoethanogenum Bakterienstämme Ethanol aus industriellen CO2Emissionen erzeugen. Zum Beispiel auf dem Gelände des chinesischen Stahlgiganten namens Shougang Steel, in der rund 400.000 Liter Ethanol pro Jahr erzeugt werden. „Würden sich alle Stahlwerke Chinas dazu entscheiden, diese Technologie zu nutzen, würde dies zu Emissionseinsparungen im Volumen von 11 Millionen PKW führen“, überschlägt Holmgren.
Wo liegen Hürden?
Deutlich wird, dass es im Grunde nicht die fehlende technologische Machbarkeit ist, die der Umsetzung und Anwendung im Wege steht. Schließlich dürften einige Innovationen bei anhaltender Fortschrittsgeschwindigkeit noch innerhalb dieses Jahrzehnts zur Marktreife gelangen. Es ist vielmehr eine Frage der Rentabilität und Wirtschaftlichkeit. Hier muss sich regeneratives Rohöl trotz des Verweises auf die Vollkostenrechnung stets dem Preisvergleich mit fossilem Erdöl stellen. Aus diesem Grund sprechen Wissenschaftler und Fürsprecher der bio-CCU Technologie häufig von der Notwendigkeit politischer Unterstützung, zum Beispiel in Form von Anreizen oder Quotenregelungen. Denkbar wäre zum Beispiel eine Beimischungsquote für Kraftstoffe von etwa 5%, die aus jenen Technologien entspringt. Kostendeckung ist das oberste Ziel: Nichtsdestotrotz kommt die CCU-Technologie dem Ziel Kostendeckung weitaus näher, als die Kohlenstoffsequestrierung (CCS), da die regenerativen Rohstoffe potenziell Einnahmen generieren. Um sich aus der Abhängigkeit vom Ölpreis für fossiles Rohöl zu befreien, setzten einige Anlagenbetriebe daher auf eine breitere Rohstoffpalette und lassen ihre Mikroorganismen neben Ethanol z.B. Butanol produzieren. Ein von der Industrie ebenfalls stark nachgefragter Rohstoff, insbesondere als Lösungsmittel.
Probleme nicht unter den Tisch kehren
Tuck Seng Wong, CCU-Forscher aus England sieht darüber hinaus einen weiteren Aspekt berührt: „Kohlendioxid einfach unter der Erde zu begraben, erinnert mich zu sehr daran, Probleme einfach unter den Teppich zu kehren, anstatt sich ihnen zu stellen und sie zu lösen.“ Zwar müsse weiterhin an der Energiebilanz und Effizienz gearbeitet werden, dennoch ist absehbar, dass durch die Gewinnung von Kohlenstoff aus Kohlendioxid zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können: So werden nicht nur die CO2-Emissionen verringert, sondern zugleich auch die fossilen Kohlenstoffquellen geschont.
Originalpublikation
Peplow, M. (2015): Industrial biotechs turn greenhouse gas into feedstock opportunity. In: Nature Biotechnology, Vol. 33 (11), (6. November 2015), doi:10.1038/nbt1115-1123 Quelle: Pflanzenforschung.de